Popkultur und Politik

Mickey Mouse und Coca Cola. Auf den berühmtesten Werken der Pop Art sind populäre Produkte der Warenwelt, bekannte Logos und Stars oder in den Massenmedien prominent gewordene Politiker zu sehen. Donald Duck, McDonald’s, Marylin Monroe, Mao, Che Guevara, Campbell Soup, Kellog’s, Chiquita Bananen kennt man schon längst, bevor sie auf den Werken Andy Warhols, Roy Lichtensteins, Claes Oldenburgs und vielen anderen auftauchen. Für Pop ist dies typisch. Die Popästhetik greift auf das zurück, was bereits massenhaft verbreitet und ungemein bekannt ist.

Diese Zweitverwertung ist als Verflachung, Massenkultur, Kulturindustrie kritisiert worden. Pop ziehe den Bereich der Ästhetik in den der Warenzirkulation hinein. Die gleichen Grundsätze von Werbung und Design, die der Vermarktung der Waren und Stars dienen, formen nun auch noch Kunst und Kultur. Da gibt es von der Frankfurter Schule schlechte Noten…

Die Inkorporation prominenter Formen ist aber auch als Aneignung, Bricolage, Appropriation gerechtfertigt und gefeiert worden. Pop verdopple die Warenwelt nicht einfach, sondern eröffne mit seinen Zitaten eine ironische oder subversive Sicht. Popästhetik sei also alles andere als ein Agent der Kulturindustrie, sondern eröffne dem breiten Publikum kulturelle Partizipationsmöglichkeiten und ästhetische Erfahrungen, die in der „hohen“ Kultur der Opernhäuser und Museen nicht vorgesehen sind.

Beide Ansätze sind problematisch, weil sie sich entweder auf die Eigentümlichkeiten von Pop gar nicht einlassen (Kulturindustrie-Vorwurf) oder die gesellschafts- oder kulturpolitischen Erwartungen an Pop ins Utopische hochschrauben (Subversions-Versprechen). Richtig ist aber sicher der Befund, dass Pop ein Second Hand-Geschäft betreibt, also bereits Populäres aufgreift und popästhetisch verwertet – also aus einem Kontext herauslöst und in den neuen Kontext eines Bildes, Popsongs, eines Textes einbettet. In diesem neuen, popästhetischen Kontext kommt es auf die spektakuläre Wirkung an, den Reiz, den Effekt auf die Rezipienten, die Erregung oder Überwältigung des Zuhörers, Lesers oder Betrachters. Auf den ursprünglichen Zusammenhang kommt es dagegen nicht mehr an: Der Che Guevara der Popästhetik ist cool – was er genau in Kuba, Kongo und Bolivien getrieben hat, die komplexe historische und politische Würdigung des Argentiniers spielen keine Rolle.

In der deutschen Popkultur lässt sich diese Problematik der Aneignung sehr gut am Beispiel der RAF-Rezeption nachvollziehen. Mit dem Logo der RAF auf T-Shirts zu spielen (Prada-Meinhof), Modestrecken mit Doppelgängern von Andreas Baader und Gudrun Ensslin zu fotografieren oder mit einer Maschinenpistole des Typs HK MP5 zu posieren, wäre als Plädoyer für eine Fortsetzung des terroristischen Feldzugs gegen die Bundesrepublik vollkommen missverstanden: Es kommt auf das Krasse der Geste, das Ikonische des Logos, die Prominenz des Schriftzugs an. Diese Aneignung als Subversion zu loben, wäre aber wohl genauso verfehlt. Es kommt allein auf die Bekanntheit und den Reiz der Marke an, die hier aufs T-Shirt gedruckt wird.

Auch der umstrittene Song 0815 von Farid Bang und Kollegah greift auf historische Bestände zurück, deren Versatzstücke aus dem Kontext herausgelöst und neu montiert werden. 0815 ist die Typenbezeichnung eines Maschinengewehrs, das im Ersten Weltkrieg zum Einsatz gekommen ist. Von der MG zur „Pumpgun“ im Track ist es nicht weit, aber es ist auch nicht so wichtig, weil der historische Kontext des Weltkriegs ohnehin keine Rolle spielt. Ähnlich verhält es sich mit der inzwischen allbekannten Zeile „Mein Körper definierter als Auschwitzinsassen“.

Hier wird ein Vergleich hergestellt. Das lyrische Ich nimmt für sich in Anspruch, eine Figur ohne Körperfett zu haben, hergestellt im Fitness-Studio. Wer „definierter Körper“ googelt, erhält Angebote für Ernährungsratgeber, Anabolika und Trainingspläne. Es ist saudumm, geschmacklos und unhistorisch, wenn nun dieser fettfreie, aufgepumpte „definierte Körper“ mit einem „Auschwitzinsassen“ verglichen wird. Die abgemagerten Körper und Gesichter der Überlebenden bilden die Grundlage dieses Vergleiches. „Mein Körper“ sei eben noch „definierter“ als die ausgezehrten Körper der KZ-Häftlinge. Antisemitisch wäre dieser Vergleich nicht, nur grausam und dumm. Der Holocaust wird nicht geleugnet oder gerechtfertigt. Die Ausdrucksweise eines taz-Autors, eine Disco sei „gaskammervoll“ gewesen, ist ähnlich geschmacklos und skandalös – und auch ganz ähnlich, was das popästhetische Verfahren angeht, die Geschichte in Reizworte zu verwandeln, deren Verwendung Aufsehen erregt und irgendwie hart, krass, cool, verwegen rüberkommt.

Wie das RAF-Logo auf den T-Shirts von Viva-Moderatorinnen, die es auf einer Werbepostkarte mit dem Header „Girl-Power“ tragen, diese nicht zu Terroristinnen oder auch nur „Sympathisanten“ macht, wäre die Folgerung verfehlt, jemand, der einen Körper mit niedrigen Fettanteilen und hohen Anabolikawerten mit KZ-Insassen vergleicht, sei notwendig antisemitisch. Es stimmt: Der Vergleich ist allerdings nicht nur dumm, sondern auch politisch heikel, weil der historische Kontext, aus dem das Versatzstück „definierte Körper“ herausgelöst wird, für die Erinnerungskultur Deutschlands so unendlich wichtig ist und der Blick auf die abgemagerten Häftlinge als „schlank“ so unendlich zynisch. Doch kommt es in der Popkultur auf etwas anderes an, nämlich Resonanz zu erzeugen, Beachtung zu finden, Aufmerksamkeit zu binden. Dies ist Farid Bang mit seiner Textzeile zweifellos gelungen. Ob solche Songs auf einen Index gehören, müsste die Bundesprüfstelle oder die Gerichte entscheiden.

Nicht aus juristischer, moralischer oder politischer, sondern mit Blick auf die Popkultur und ihre ästhetischen Verfahren der Aneignung und Montage, des Recyclings und Zitation erscheinen auch visuelle Inszenierungen (Herrensauna, Gesaffelstein, Boy London) als typisch. Gerade die nationalsozialistische Bildsprache und ihre Symbole (Reichsadler, Hakenkreuz, Frakturschrift, Lichtdom etc.) sind überaus populär im Sinne einer weit verbreiteten Bekanntheit. In bestimmten Mode- und Musikszenen werden Versatzstücke der nationalsozialistischen Zeichenwelt „appropriiert“, „zitiert“ und „arrangiert“. Die gleichen popästhetischen Verfahren, die in den cultural studies üblicherweise als subversive Bricolage und kreative Appropriation gewürdigt werden, haben nun offensichtlich zu Werken geführt, die als Nazi-Verherrlichung und neofaschistische Propaganda kritisiert werden. Nähme man die Popkultur aber ernst, dann müsste man konzedieren, dass es auch hier nicht um die Verbreitung einer rechtsradikalen Message geht, sondern um die geschichtsvergessene Erzeugung eines ästhetischen Reizes. Genau wie das RAF-Logo auf den Girlie-Shirts „wirkt“ der Reichsadler auf den Hoodies des Modelabel Boy London als Aufmerksamkeit erzeugender Reiz und nicht als Banner einer neuen faschistischen Front.

Wohlgemerkt: Geschmacklos, ignorant, geschichtsvergessen ist es, ob es sich nun um Ikonen des Terrorismus oder Symbole des Nationalsozialismus handelt, die in die Zeichenzirkulation der Popkultur eingespeist werden. Aber um Aufrufe zum Rassenhass oder Vernichtungskrieg handelt es sich aus popkultureller Sicht wohl kaum. Und einen Preis muss es für Kollegah und Farid Bang auch nicht geben, es reicht doch, dass Singleauskopplungen den ersten Platz in den Charts erreichen (Sturmhaube auf), also nachweisbar (messbar) Beachtung finden – und populärer sind als andere. Echo war allerdings der treffende Name für einen Preis, der diese Resonanz noch einmal eigens ausstellt und massenhafte Beachtung für ein Album noch einmal zu verstärken sucht. Die Skandalisierung der Preisvergabe stört diese Maschine der Beachtungserzeugung nicht gerade, die Popularität steigt eher noch. Und solange es Konsumenten gibt, die Musik à la JBG 3 hören wollen, wird es solche lyrics auch weitergeben. Und solange bestimmte Technoclubs und Darkrooms gut besucht werden, wird es Modellabel und Plakate im Stil von Herrensauna und Boy London geben. Dies gehört unvermeidlich zur popkulturellen Kondition unserer Gegenwart. Zu den Vorzügen der Popkultur zählt aber auch, dass niemand gezwungen wird, solche Musik zu hören oder derartige Mode zu tragen. Es gibt andere Clubs, andere Labels, andere Sounds. Pop bietet immer auch die Alternative zu Pop. Auf den Charterfolg von JBG4, wenn es diese Fortsetzung geben wird, darf man gespannt sein – es könnte ja sein, dass die marktorientieren Rapper („Mios liegen im Safe…“) ihr nächstes Album etwas anders gestalten, um auch weiter möglichst viele zahlende Hörer zu erreichen.