• Das Wissen ist an die Person gebunden. Eine transatlantische Beobachtung amerikanischer Universitäten

    Als er nach sechs Jahren Kalifornien seinen PhD an einer renommierten Universität bekam und ich parallel dabei war, Bewerbungsformulare für einen ebensolchen auszufüllen, versuchten ein Freund und ich das humanities-Studium in den USA auf zwei Nenner zu bringen. Zum einen – so seine Bilanz und mein Ausblick – gebe es in diesen renommierten Universitäten im Vergleich zu dem, was wir in Deutschland kannten, eine anregende Freiheit von Methode und Themenwahl, zum Anderen müsse man aber eigenen intellektuellen Proviant mitbringen – und zwar aus Europa. Nach vier Jahren in einem Doktorandenprogramm an einer Ivy-League-Universität gilt für mich dieser Befund immer noch, wenn auch beschränkt auf Erfahrungen an diesen verschiedenen angesehenen und meist privaten Universitäten. Man bekommt über ihn jedoch schnell Einblick in die Spannung zwischen Tradition und Zukunft, die in den USA omnipräsent ist und sich bereits im Verhältnis zwischen Antworten und Fragen, oder zwischen Gesellschaft und Individuum fortsetzt. Über breite Debatten zu Bürgerrechten ­oder über Environmentalism ist die dortige Zivilgesellschaft gerade erst dabei, die Kategorie "Geschichte" für die Arbeit an sich selbst fruchtbar zu machen – und zwar in einer ausdrücklichen Wendung gegen die Geschichtslosigkeit ihrer Gründungsutopie. Wenn aus europäischer Sicht die Universität traditionell der Ort ist, an dem spezialisierter Überblick und angesammeltes, gebündeltes Wissen auf die Gegenwart treffen, dann wird in den USA überhaupt erst darüber verhandelt, ob dies die Rolle der Universität sein sollte. Natürlich läuft das dann gerade nicht unter diesen europäischen Vorzeichen, sondern beispielsweise über die Frage, wieweit sich eine hunderte Jahre alte Universität um ihren gewinnbringenden brand value kümmern muss, ob doctoral students noch Hoffnung auf eine Anstellung in ihrem Ausbildungsfeld haben sollten, oder ob Professoren, die online teaching für ihre Universität ablehnen und an der Hier-und-Jetzt-Wirklichkeit eines Seminars festhalten, aus Universitätssicht nicht zukunftsorientiert genug sind, wie es mir von einem Universitätsvertreter erklärt wurde. Wendet sich Bildung konzentriert nach innen oder nach außen? In einer Gesellschaft die auf Pragmatismus und Progressivität gebaut ist, steht hinter diesen Alternativen jedes Mal das Zweifeln, ob Lehre und Forschung sich an Bestehendem, Erreichtem und Bewährtem messen lassen müssen – oder nicht. (mehr …)