• „Kein Kloster, kein Hotel“

    Dieser Bericht Nina Verheyens über ihren Aufenthalt am Wissenschaftskolleg in Berlin perspektiviert unser Juni-Schwerpunktthema "Zur Lage der Universität" durch den Blick auf eine und aus einer privilegierte(n) Institution, die wissenschaftliche Arbeit ausdrücklich ohne die Gremienarbeit und die Zwänge, die an Universitäten herrschen, ermöglicht - also als Forschung. Freilich stets nur auf Zeit, danach geht es in aller Regel in den universitären Alltag zurück. (D. Red.)  „Kein Kloster, kein Hotel.“ Kurz nach unserer Ankunft im September beschrieb Thorsten Wilhelmy mit diesen Worten das Wiko – und was es von seinen Fellows erwartet. Zehn Monate dürfen sie tun, was sie wollen, solange niemand hinter seinem Schreibtisch verloren geht. Neben dem Dienstagskolloquium und den diversen Abendveranstaltungen dient das Mittagessen der Vergemeinschaftung unter den Fellows. Davon hatte ich schon vor meinem Aufenthalt gehört, denn die Mahlzeiten in der Wallotstraße sind ein fast schon legendärer Gegenstand des akademischen Klatsches. Geklagt wird dabei in der Regel mit Wehmut über das viel zu schlecht genutzte Forschungsjahr und natürlich mit Distinktionspotential, denn nur wenige können aus erster Hand berichten, wie man im Grunewald täglich aus dem Schreibfluss gerissen wird. Meine Sorge war, dass mich das Mittagessen tatsächlich eher schlauchen als erquicken würde, zumal es um 12:30 Uhr begann, viel zu früh für mich. Aber wer Steuergelder ausgibt, muss Rechenschaft über seine Ausgaben ablegen, und eine gemeinsame Mahlzeit ist immer auch Gelegenheit zum Gespräch. Stipendien- und Forschungsprogramme, die das verstubte Gelehrtendasein zumindest theoretisch ermöglichen, gibt es inzwischen viele. Der freundliche Nachdruck zur geselligen Nahrungsaufnahme leuchtete mir daher trotz etwas Unbehagen ein. Positiv überraschte mich, dass uns die Leitung des Hauses nicht nur auf soziale Pflichten hinwies (wobei das Wort "Pflicht" sorgfältig vermieden wurde und ich erleichtert beobachten konnte, wie sich ein Fellow dem Mittagessen konsequent entzog), sondern auch auf wissenschaftliche Freiheiten. Wir könnten, so erläuterte Luca Giuliani in der ersten Woche, exakt jenes Buch schreiben, das wir in unserer Bewerbung angekündigt hatten – oder wir ließen es bleiben. Wir dürften einem "secret project" frönen, von dessen Existenz noch niemand wisse, und dieses "secret project" dürfe außerhalb unserer Disziplin liegen oder sogar außerhalb der Wissenschaft. (mehr …)