Zum Tod Arthur C. Dantos

An diesem Wochenende sind Lou Reed und Arthur C. Danto gestorben. Worin sich beide begegnen, ist die wichtige Rolle, die Andy Warhol für ihr Werk spielt. Zu Lou Reed – oder The Velvet Underground – findet sich, von gelegentlichen Erwähnungen in Texten von Ulf Erdmann Ziegler abgesehen, im Merkur-Archiv wenig bis nichts. (Vielleicht keine Überraschung.) Zu Arthur C. Danto ragt zwischen 1994 und 1998 ein Drei-Texte-Massiv aus dem Archiv – sicher kein Zufall, die deutsche Rezeption der dantoschen Kunstphilosophie dürfte in den neunziger Jahren ihren Höhepunkt erreicht haben. (Und dann war es recht schnell ja auch wieder vorbei.) Hier Auszüge aus den drei betreffenden Texten, mit Links zu den PDFs im kostenpflichtigen Archiv:

Helmut Rath, Endloses Spiel, unendliche Theorie. Arthur C. Danto über Kunst und Philosophie (August 1994)

(Besprechung zu: Arthur C. Danto, Die philosophische Entmündigung der Kunst. München: Fink 1993)

Das Verhältnis von Kunst und Philosophie hält Danto für so komplex, daß es womöglich unsere analytischen Fähigkeiten übersteigt. Wenn man einen Knoten nicht lösen kann, muß man ihn durchhauen und die Kraft der Analyse durch den Mut zur Vereinfachung ersetzen. Dantos unkonventioneller Hegelianismus hat etwas von dieser Beherztheit. Er macht aus Hegels Lehre vom Vergangenheitscharakter der Kunst einen Katalysator, der so disparate Elemente wie eine Platonische Idee und ein Ready-made miteinander reagieren läßt.

Das Ready-made ist gewissermaßen die Quintessenz der Moderne, ein aufdringlicher Hinweis der Kunst auf sich selbst. So jedenfalls wird es von Danto interpretiert und zum Eckstein seiner Kunsttheorie. Danto begreift die Kunst unseres Jahrhunderts als Emanzipation von der mehr als zweitausendjährigen Vormundschaft der Philosophie. Die Entmündigung der Kunst war dasWerk der griechischen Aufklärung, Platons Ideenlehre ihr Labyrinth. Jetzt gelangt die Herrschaft des Begriffs über das Bild an ihr Ende. Danto sieht die Kunst einer »ruhigen, die menschlichen Bedürfnisse erfüllenden Periode« entgegengehen. Der Kataklysmus der Moderne war nur ein Fieber, aus dem die Kunst gereift erwacht in der grübelnden Heiterkeit immerwährender Postmoderne. Und die Philosophie? Danto hofft, daß sich mit der Emanzipation des Unterdrückten auch der Unterdrücker befreie. Doch was soll ein Labyrinth ohne Minotauros? Zu was könnte die Philosophie sich befreien? Das bleibt zweideutig und anspielungsreich. Wird die Suche nach der Wahrheit nie zu Ende kommen? Oder wird sich die Philosophie im »anything goes« zur Bedeutungslosigkeit sublimieren und schließlich die neue Kunst die alte Anstrengung des Begriffs ersetzen? Danto möchte es nicht hoffen und widerspricht auch der Versuchung, die Philosophie zur Literatur zu egalisieren.

Hier der ganze Text als kostenpflichtiges PDF (2 Euro).

Michael Rutschky, Was ist Nichtkunst? Zu Büchern von Danto, Luhmann, Boehm (Dezember 1996)

Was den Kunstkritiker Danto reizvoll macht, das ist seine Verwandlung aus dem Philosophen Danto, der Verwandlung des Dosenöffners respektive Parlamentsgebäudes vergleichbar. Man stelle sich vor, die Frankfurter Allgemeine oder der Spiegel hätten, weil seit den achtziger Jahren die bildende Kunst zu einem Leitmedium der kulturellen Kommunikation geworden ist (was 1995 in dem Massenerfolg von Christos Reichstagsverhüllung kulminiert), den einen oder anderen Cheftheoretiker der Bundesrepublik, JürgenHabermas, Niklas Luhmann, als Kunstkritiker engagiert, der für einen gewissen Zeitraum regelmäßig über diese oder jene Ausstellung referiert. Nach dem Schema nämlich hat Arthur C. Danto für die amerikanische Zeitschrift The Nation seit 1984 Kunstkolumnen geschrieben; seiner Veröffentlichungsliste nach ist er gar kein auf Ästhetik spezialisierter Philosoph; in den sechziger Jahren wurde er in der Bundesrepublik unter seinesgleichen bekannt mit einem dicken Buch über Geschichtsphilosophie, und zwar deshalb, weil Jürgen Habermas es in eine seiner eigenen Schriften an prominenter Stelle eingearbeitet hatte. Danto war damals 43, ist also heute 70 Jahre alt.

Hier der ganze Text als kostenpflichtiges PDF (2 Euro).

Heinz Dieter Kittsteiner, Die Geschichte nach dem Ende der Kunst (April 1998)

(Keine Besprechung, sondern ein eigenständiger Essay, in dem sich Kittsteiner von Warhol und Danto zur damaligen Gegenwart der Kunst, d.i. hier: Jochen Gerz, bewegt.)

Das Ende der Kunst in dem von Danto beschriebenen Sinn, ihr Übergang von der narrativen Geschichte der Avantgarden zum zeitlosen Spiel im Posthistoire hat nicht nur das Hegelsche Moment der vom Geist verlassenen Gestalt, es hat auch das soziale Unterfutter der von den Institutionen vereinnahmten Kunst. Seither emanzipieren sich die Künstler in einen schon eigens für sie aufgebauten Betrieb hinein. Es ist die groteske Situation entstanden, daß die institutionalisierten »Betrachter« schneller sind als die »Avantgarden «: »Das Publikum wartet plötzlich geradezu auf die Avantgarde, statt ihr weiterhin erbitterten Widerstand entgegenzusetzen, welche der Avantgarde die erwünschte Identität als Trägerin einer Revolte (und das willkommene Feindbild) verliehen hatte (Hans Belting, Das Ende der Kunstgeschichte). Diese Situation ist kennzeichnend für das Ende der Kunst. Sie bringt ein seltsames Als-ob hervor, das als Ritual eisern eingehalten wird: Die Kunstverwalter, die schon sehnlich auf die nächste Kunst-Überraschung warten, sie sogar in Umrissen vorgeben, müssen so tun, als seien sie von dem Resultat wirklich überrascht, als gehe von hier und jetzt eine neue Epoche der Kunst aus und das Publikum könne sagen, es sei dabeigewesen. Die Künstler wiederum, die fest mit diesen Institutionen kooperieren, gebärden sich so, als träten sie gegen den Willen der Gesellschaft und einen fast übermächtigenWiderstand zu einer umwälzendenManifestation an. Beides zusammen ergibt ein »Event«.

Hier der Link zum kostenpflichtigen PDF (2 Euro).

EK