Klagenfurt, Tag 3, 4: Durch sein, fertig werden
Dass es Sharon Dodua Otoo ist, die Bachmannpreisplastik und -geld mitnehmen darf, das ist ein gutes Staffelfinale! Dass nach drei Tagen Zuhören, Mitdenken, Diskutieren sich wenigstens für die Gewinner*innen wirklich etwas tut, vielleicht, das ist am wenigsten schlimm. Also an dieser Stelle jetzt kein Sinn-Narrativ aufmachen und erklären, für wen oder was Otoo gewonnen hat oder was ihr Sieg repräsentiert. Sie hat jetzt hoffentlich ein, zwei Möglichkeiten mehr, zu machen, was sie will.
Aber die Narrative sind sofort voll da. Es wird gelobt und schultergeklopft und wie immer auch dem Schulterklopfenden selbst, in diesem Fall der Jury. Ihre Rettung: Dass sich die „Neue Welt“, die Stefan Gmünder in Otoos Text erkennt, als Referenz auf Chefspießer Loriot lesen lässt. Wir, der Bachmannpreis, wir sind frisch, resilient, wie vor hundert Jahren schon können wir mit ALLEM umgehen, egal, wie komplex. Ganz ohne Amazon-Kundenrezensionen. So ungefähr kapitalisiert Hubert Winkels in seinem Schlusswort das finale Abstimmungs-Pathos: So geht’s weiter.
Und so ungefähr unser Rant, aber warum noch? Na, es gibt da ja schon was. Da ist ja was da. Oder? Vielleicht auch schon viel. Jedes Jahr gibt es wieder diesen seltsamen, brutalen Optimismus, der als Optimismus nie vorkommt, sondern immer nur im Moment seiner Enttäuschung. Das ist das Schöne und Brutale: Trotz aller Wut und allen zynischen Tweets ist die eigene Erwartungshaltung an den blöden Bachmannpreis unkaputtbar. Was wäre damit zu tun? Im Gegenteil diese Bindung an eine träge Institution des Establishments endlich verlernen, Gegenplattformen beantragen? Oder eher als enttäuschtes Kollektiv strategisch überlegen, wie man am einfachsten an die 50.000 Bachmann€uro rankommt? Oder das alles einfach als Wochenende im Wörthersee-Strandbad durchtraveln? So oszilliert zwischen den weißen Spritzern auch der nächtliche Netzwerktalk: bleiben, gehen, irgendwas Drittes?
Vielleicht lässt sich am ehesten noch, wenn wir jetzt schon mal da sind, von den Klagenfurter Para-Veranstaltungen – also eben den weißen Spritzern, dem Schwimmen-Gehen am Nachmittag oder frühen, frühen Morgen – etwas lernen. Und wir wollen ja was lernen!! Denn: Klagenfurt? Klagenfurts! Mehrerere! Das Gute am Hinfahren: zu sehen, der mythologische Ort Klagenfurt ist – aus der Nähe betrachtet – nur Fernsehen, ein auf Überlebensgröße aufskaliertes Studio. Die anderen Klagenfurts verkleinern es nach Sendeschluss sofort wieder auf eine Real-Kleinheit zurück, mit der sich leben lässt: Das Stadtklagenfurt am Wörthersee weiß nicht viel vom Bachmannpreis, lässt sich davon nicht adressieren. Und selbst im angereisten Betriebsklagenfurt – zumindest dessen jüngerem Teil, den wir treffen, ohne krasse Insider zu sein – selbst dort ist die Stimmung ein komischer Hybrid aus Gleichgültigkeit und fassungsloser Ungläubigkeit gegenüber dem Verlauf des „Bewerbs“.
Ohne dass zu erkennen wäre, wo dieser Drive herkommt, sagt immer noch eine*r: Weiter, weiter! Wir fragen die Einheimischen, wo diese „Frühbars“ zu finden sind, Meta-Kneipen, die nach der Sperrstunde um vier Kneipenerlebnisse für Kneipenprofis bieten. Es muss eben schon noch was passieren und weißer Spritzer ist die angenehmste Verkörperung des Alkohol-Versprechens: „Es kommt noch was“. Dieses Frameworking, damit leben zu können, dass nichts mehr passieren wird, aber auch nicht aufzuhören, sich sicher zu sein, dass noch etwas passieren müsste, das muss im Lange-Aufbleiben geleistet werden. Es bräuchte Formen, aber wir haben nichts dabei, das wir uns gegenseitig als Preis verleihen könnten. So drehen wir morgens bei irgendeiner Nicht-Gelegenheit ab und fragen beim Zähneputzen: „Wer hat da jetzt eigentlich was gewollt?“
Das ist Nacht Zwei von Drei, durch die müssen wir durch, um bei diesem bestimmten Zeitpunkt rauszukommen, ab dem alle fertig werden und sind. Durch mit dem Sich-Ärgern und mit dem notwendigen Gegenspaß: Sonne und Trinken. In der Filterblase, in der wir die Tage über unterwegs sind, finden wir uns am Samstagabend in einer maximal uncoolen „Indie-Rock-Bar“ wieder. Für einige als Bildschirmschoner, für andere als Strategiespiel, läuft Fußball auf einem Flatscreen, ein paar Meter zu weit weg. Und gerade weil niemand involviert ist, weil da ein Gegenstand herumsteht und Oberflächenspannung aufbaut, ist – was ist das!? – plötzlich etwas angenehm. Endlich guckt niemand mehr durch den Fernseher durch, das Medium wird wieder angenehm flach. Jetzt müssen wir uns nicht mehr aufregen, jetzt müssen wir nicht mehr überdreht Klagenfurtismen imitieren, um auf diesem Sofa nebeneinander zu sitzen und manchmal kurz einzuschlafen.
Der Newsletter der Kulturzeitschrift MERKUR erscheint einmal im Monat mit Informationen rund um das Heft, Gratis-Texten und Veranstaltungshinweisen.