Die jungen Antimodernen in Frankreich

Ariane Chemin hat in Le Monde vor kurzem eine ziemlich interessante Reportage (Paywall) über die junge Rechte in Frankreich veröffentlicht. Der Titel in der Printausgabe – „Les jeunes gens antimodernes“ – spielt auf die französische New Wave-Kultur der frühen achtziger Jahre an. Jene „jeunes gens modernes“ waren unterkühlt, ziemlich sexuell, endlos elegant, ein bisschen zackig. Sie wohnten in damals noch schicken Neubauwohnungen in der Banlieue, fuhren mit dem gerade fertiggestellten TGV und sagten ja zur Technologie. Ich verlinke den entsprechenden Sampler am besten einfach mit.

Nachdem ich Tobias Rapps aufschlussreiches Kubitschek-Porträt gelesen hatte, kam bei mir die Frage auf, inwiefern dieses Modell, dieses Denken auch für ein großstädtisches Publikum unter 30 attraktiv sein könnte. Er verwies daraufhin auf Figuren wie Benedikt Kaiser, Poltikwissenschaftlicher und Kenner des großartigen und leider sehr faschistischen französischen Schriftstellers Drieu de la Rochelle, oder Martin Sellner, den – ich sag‘ jetzt einfach mal – Führer der österreichischen Identitären. Aber der Schrägheitsgrad bei den Kollegen ist doch arg hoch.

Ich habe den Eindruck, in Frankreich ist das nochmal anders. Dort wird seit Jahren dass Ende der linken Hegemonie im Bereich des Ästhetischen ausgerufen. Im Artikel von Chemin wurde mir zum ersten Mal klar, was das konkret heißen könne. Was passiert eigentlich, wenn die Energien der Jungen – Zeitschriften gründen, Gemeinschaften bilden, Subkulturen ausprägen, der Wille zum Stil – sich nicht länger automatisch im linken Spektrum niederschlagen? Die französische Rechte unter 30 hat mit der Stahlkappenfraktion überhaupt nichts zu tun. Es sind zumeist Geistes- und Sozialwissenschaftler, die als prekäre Intellektuelle vor sich hin werkeln und nicht unbedingt auf Straßenschlachten stehen, sondern sich vielmehr vorgenommen haben „die Anhöhen der Kultur zu erstürmen“ (Walter Ulbricht über den Bitterfelder Weg).

Dementsprechend sucht man nach Identifikationsfiguren, Helden. So ist Pasolini jemand, der den Ästhetizismus dieser nouvelle nouvelle droite perfekt bedient. Doch auch den „gramscianischen Aspekt“ möge man an ihm. Den radikalen Abtreibungsgegner und Kulturkatholiken natürlich auch. Dass Pasolini 1968 die studentischen Demonstranten als verwöhnte Bürgerkinder abtat und sich offen solidarisch mit den Polizisten aus dem Arbeitermilieu erklärt, tat sein Übriges. Eine der neu gegründeten Zeitschriften heißt denn auch Accatone.

Ich rieb mir verwundert die Augen, als ich, unabhängig vom eigenen Abgrenzungsbedürfnis, anerkennen musste, dass die Lebensform, die dort verfochten wird, in gewisser Weise einer Art Öko-Bohème gleichkommt. (Dass einige dann gleich auf den Kühlschrank verzichten, rückt sie dann wieder in die Nähe von Kubitscheks Lifestyle.) Die meisten lehnen selbstverständlich offene Märkte ab. Zudem sind viele erklärte Wachstumsgegner und fühlen sich dem ökonomischen Gebot der „décroissance“ verpflichtet. Die Konsumgesellschaft kommt kaum besser weg. Die bei älteren Rechten (und Linken) so beliebten Verschwörungstheorien spielen jedoch keine große Rolle. Stil und Haltung sind wichtiger.

Als Startschuss für ihre politische Identitätsbildung können die Demos gegen die gleichgeschichtliche Ehe im Jahr 2013 gelten. Und Kinder, viele Kinder sollte man haben. Ich kann nicht anders darüber schreiben, weil mir der Kinderfetisch auf beiden Seiten völlig fremd ist. Es ist mir schlicht nicht möglich, meine politischen Überzeugungen vom Kinderwunsch (oder dessen Abwesenheit) her zu denken.

Über die politische Philosophie dieser Kulturaktivisten müsste ich noch mehr in Erfahrung bringen, denn von Jean-Claude Michéa – dem Denker, auf den sie immer wieder zurückkommen – habe ich bislang nichts gelesen. Es muss sich wohl um eine anarcho-konservative Spielart des Populismus handeln. Ausgangspunkt ist die Idee, dass die Linke um den Parti socialiste sich seit dreißig Jahren dem ökonomischen Liberalismus anverwandelt hat, den sie doch bekämpfen sollte. Die Hinwendung zu gesellschaftspolitischen Fragen überdecke diese mittlerweile konstitutive Nähe zum Kapitalismus lediglich. Sound familiar? (Michéa selbst stützt sich auf George Orwell, den wohl auch die Jüngeren zum Säulenheiligen auserkoren haben, und den US-Soziologen Christoph Lasch, einen Kritiker des zeitgenössischen Narzissmus.) Hauptberuflich ist Michéa Philosophielehrer in Montpellier und zudem Autor. Das ist ein weiterer wesentlicher Unterschied zu Deutschland. Wie viele Ethiklehrer an Gymnasien veröffentlichen nebenbei Philosophiebücher bei C.H. Beck?

In Deutschland haben Journalisten zur Genüge und nicht immer sehr ertragreich über die Postmoderne diskutiert. Hat sich die Rechte den Poststrukturalismus einverleibt? Ich würde meine eigene Haltung mittlerweile nuancieren. Es kommt ganz darauf an, was man damit meint. Mit Foucault, Derrida, Deleuze haben diese Leute absolut nichts am Hut. Mit dem windigen Soziologen Michel Maffesoli, dessen akademische Credentials durchaus zur Debatte stehen, schon eher. Für Maffesoli ist Tribalisierung die lebensweltliche Signatur der Postmoderne. Gruppenidentität entsteht im kleineren Maßstab, zumeist in jener Nische, die Großstadtbewohner suchen, finden und kultivieren. Diese Postmoderne wird von der jungen Rechten ausdrücklich begrüßt und gelebt.

Dass hier möglicherweise ein Zeitalter der Jugendkultur zu Ende geht (und auf ziemlich andere, nämlich umfassendere Weise, als Diederichsen das in The Kids Aren‘t Alright thematisierte), dämmerte mir das erste Mal vor zwei Jahren, noch vor dem Brexit und den US-Präsidentschaftswahlen, als Eugénie Bastié, eines der neuen Gesichter der Katholen-Hipster, in einer Talkshow Jacques Attali, den Ökonomen und ehemaligen Berater von Präsident François Mitterand, in arge Bedrängnis brachte. Attali war in den achtziger Jahren Teil des liberalen Flügels der Mitterrand-Koalition, der die Kommunisten ab 1983 endgültig verdrängte und die marxistischen Verstaatlichungsvorhaben und Kapitalkontrollen durch einen rigorosen Sparkurs ersetzte. Die unter anderem von Bernard-Henri Lévy gegründete Hochglanzzeitschrift Globe setzte sich zum Ziel, diesen wirtschaftlichen Kurs kulturpolitisch zu flankieren. Dort wurde eine kosmopolitische Bohème gefeiert und bewundert, die über den französischen Provinzialismus und den Kult von Herkunft und Terroir die Nase rümpfte. Es ist kein Zufall, dass sich die neuen rechten jungen Magazine auf Globe berufen – um sich von dieser Weltanschauung scharf abzugrenzen.

Attali war eigentlich in der Fernsehsendung zu Gast, um einmal mehr für seine globalliberale Strömungslehre einzutreten. Die beziehe sich nämlich nicht nur auf Waren, sondern auch auf Personen, deren Mobilität – und dazu gehört ausdrücklich die Migration – zu begrüßen sei. Bastié unterbrach Attali und mokierte sich über dessen Vorstellung des kulturellen Austauschs: „Migration ist nicht Erasmus.“ Und fügte kampfeslustig und siegessicher hinzu: „Le vieux monde est de retour, Monsieur Attali.“

 

roter punkt_20px Hat Ihnen der Artikel gefallen? Bleiben Sie auf dem Laufenden. Abonnieren Sie unseren Newsletter.