Wie ich zum Feministen wurde – und was das mit dem Schweizerischen Literaturinstitut zu tun hat: wenig.

Am letzten Weltfrauentag habe ich auf Facebook zwei Posts veröffentlicht. Ich konnte mich nicht entscheiden.

„Ich bin Feminist. Was soll ich tun, liebe Frauen?“

Oder:

„Die wichtigsten Menschen in meinem Leben waren bisher fast alle FRAUEN. Erfolgreiche und inspirierende Frauen – angefangen bei meiner Mutter, meinen Schwestern, und meinen beiden Großmüttern, über meine ältesten und über meine engsten Freunde, die quasi alle Freundinnen sind und waren, bis zu meinen Schriftsteller-Kolleginnen und zu meiner Mentorin: Alles Frauen, die mit mir ihr Schaffen und Leben teilten und mich zu dem gemacht haben, was ich derzeit bin: Merciiiiii euch Besten der Besten!!! # meineheutigeDemo“

Mal abgesehen vom facebook-typischen Geltungsdrang, den man per se, und bei einem Mann am Frauentag im Speziellen in Frage stellen kann, war und ist es mir ernst. Es schien mir wichtig, zu betonen, dass Frauen bedeutsam waren – überhaupt und besonders in meinem Leben. Die Bestätigung, dass das keine Selbstverständlichkeit war, fand ich, als ich merkte, dass es mich erstaunlich viel Überwindung kostete, mich als Mann einfach mal so öffentlich unterzuordnen, und das nicht nur unter einen Menschen, sondern unter ein ganzes Geschlecht.

Dem zweiten Post stellte ich denn auch noch eine Einleitung voran. Eine Einleitung, die, im Nachhinein betrachtet, die Überwindung mit persönlichem „Heroismus“ abzuschwächen versucht:

„Als schwuler Mann, der es sich in seiner sozialen Geschlechterrolle bequemer eingerichtet hat, als es ihm so richtig wohl ist, wäre es gut möglich, Androzentriker zu werden.“

„Immerhin, den Androzentrismus, den habe ich überwunden“, schien ich sagen zu wollen, und rückte mich damit als Mann doch wieder in den Mittelpunkt. Aber schieben wir diesen Einknicker mal zur Seite, und machen Platz, um mich hier mal noch expliziter zu outen: Ich schaue tatsächlich sehr gerne zu Frauen auf. Vor allem zu intelligenten, erfahrenen und wortgewandten schreibenden Frauen. Und tatsächlich waren Frauen weit öfter prägende Figuren in meinem Leben als Männer und sie sind es auch heute noch. Gerade im Literaturbetrieb.

Etwas, das in einem krassen Widerspruch zu einer allgemeinen gesellschaftlichen Wahrnehmung steht, der selbstverständlich auch ich unterworfen bin: Der Literaturbetrieb ist doch vor allem männlich konnotiert.

In zwei, drei autobiografischen Sätzen für die Website eines Literaturfestivals, bei dem ich mitarbeite, sollte ich kürzlich drei Buch-Titel nennen, die mir besonders viel bedeuten würden. Keine Frage, ich notierte die Bücher dreier Männer: Thomas Bernhard, Lutz Seiler und Uwe Timm.

Uwe Timm? Ja, Uwe Timm. Sein erstes Buch „Der Freund und der Fremde“ war tatsächlich besonders bedeutsam für mich, aber es hätte sich auf alle Fälle auch eine Gegenwartsautorin finden lassen. Nur, wie es schien, hatte ich keine einzige Frau unter „bedeutsame Literatur“ in meinem Hirn abgespeichert. Noch nicht einmal Ingeborg Bachmann, die mich seit Jahren mit vergleichsloser Konstanz beim Schreiben begleitet.

Auf dem Papier erscheint die Literatur-Welt noch immer auffällig männlich. Etwas, das sich in den schriftstellerischen Kreisen, in denen ich mich tatsächlich bewege, ganz anders darstellt: Das Schweizerische Literaturinstitut, wo ich studiert habe, wird von drei Frauen geleitet, einzig der Stellvertreter ein Mann. Meine Mentorin, Ruth Schweikert, mit der ich über drei Jahre an meinem Text gearbeitet habe: eine Frau. Meine Agentin: eine Frau. Höchstwahrscheinlich wird eine Frau mein erstes Buch verlegen. Ich wurde mit lauter Frauen von Frauen zum diesjährigen Prosanova eingeladen, und für das oben genannte Festival, dessen Programmkommission ich angehöre, kommen mir fast ausschließlich SchriftstellerINNEN in den Sinn, die ich gerne einladen würde. Und an eigenen Lesungen, oder an solchen, die ich veranstalte, sind eigentlich immer rund Dreiviertel der Zuhörenden Frauen.

Und trotzdem, schaue ich mit dem Gesellschafts-Blick auf die Literatur, erscheint sie noch immer männlich. Ein krasser Widerspruch, den ich nicht hinnehmen mag – nicht „nur“ auf Grund meines Gerechtigkeitssinns, sondern auch, weil dieser „männliche“ Literaturbetrieb mir als Mann und der Literatur als Ganzes unnötige Steine in den Weg legt. Es besteht kein Zweifel daran, dass der technologische Fortschritt unsere Lebensweise massiv geprägt und verändert hat.

Ein Verleger, zu Besuch am Institut, gab mir einmal die Rückmeldung zu einem meiner Texte, dass er ihn sehr gerne gelesen hätte, mit den (schwulen) Sex-Szenen aber als Mann natürlich nicht viel anfangen könne. Whaat? Eine Aussage, die sich in die Rückmeldung eines anderen Verlegers einreiht, der zum Text einer Kollegin meinte: So explizit könne man weibliche Sexualität also nicht darstellen – das sei schlüpfrig. War es nicht. Nur bemerkenswert lustvoll.

Ich lese oft und gerne heterosexuelle Sex-Szenen. Und noch lieber lese ich lesbische. Gerade weil es mir Welten eröffnet, die ich nicht aus eigener Erfahrung kenne. Seien wir ehrlich: Nicht nur mein Buch wird einst vor allem von Frauen gelesen werden. Es gibt wohl auch Statistiken, die belegen, was an jeder Lesung offensichtlich wird: Frauen interessieren sich wesentlich öfter für Literatur als Männer. Aber in wie vielen Verlagen entscheiden Männer darüber – und das gendertechnisch in der Regel völlig unreflektiert – was auf den Markt kommt? Was wird uns da wohl alles an spannender, progressiver und bewegender Literatur vorenthalten? Und in wie vielen Zeitungen sagen Männer, was man lesen soll? Wen erstaunt es da noch, dass das Schweizer Feuilleton seit dem Tod Dürrenmatts und Frischs nur unter Männern nach potentiellen Nachfolgern für „die gesellschaftskritische, literarische Stimme der Schweiz“ Ausschau hält – und folglich erst bei Lukas Bärfuss fündig werden konnte. Und wen erstaunt es da noch, dass der Schweiz bis heute eine queere literarische Stimme fehlt?

Aber zurück zur heilen Welt des Schweizerischen Literaturinstituts, an dem die Frauenquote ohne Zwang Realität geworden ist und man verleitet sein könnte, zu sagen: „Sexismus? Am Schweizerischen Literaturinstitut alles kein Problem“. Man greift damit weit zu kurz. Denn „kein Problem“ heißt in diesem Fall auch, dass am Schweizerischen Literaturinstitut die entscheidenden Frage nicht gestellt werden: Warum gibt es den Widerspruch, dass Literatur von derart vielen Frauen gemacht wird und trotzdem weiterhin als männlich wahrgenommen wird? Warum gewinnen Männer den Großteil an Literaturpreisen und Nominierungen? Woher kommt die am SLI herrschende Scheu vor Erfolg? Und die Millionenfrage: Was könnten wir dagegen tun, dass die Literatur, und vor allem die öffentliche Wahrnehmung von ihr, offener, geschlechtsloser oder zumindest endlich der Realität entsprechend weiblicher wird? Und, für den Fall, dass politische Fragen nicht an eine Bildungsinstitution gehören sollten: Warum muss einem Protagonisten (im Speziellen einem Ich-Erzähler) unbedingt ein Geschlecht zugeschrieben werden? Und: Warum ist der Frosch in dem Kinderbuch, das ich kürzlich für meine Nichte umschrieb, ein Prinz, der eine Prinzessin sucht, und nicht das, was Frösche für Kinder erstmal sind, nämlich geschlechtslos?

Nun, ich bin abgeschweift. Eigentlich wollte ich ja erzählen, warum ich zum Feministen wurde oder warum ich mich so nenne. Am klarsten lässt sich dieser Entscheid an einem Vortrag festmachen, den ich mir vor bald zehn Jahren angehört habe. Darin meinte die 1927 geborene Philosophin und Feministin Carola Meier-Seethaler, die Frauen hätten für die Gleichberechtigung (oder noch besser: für die Loslösung von einem klischierten Geschlechterverständnis) eigentlich alles getan, was sie tun konnten. Sie persönlich setze ihre Hoffnung nun in die jungen Männer, dass diese ihre Geschlechterrolle in Frage stellten und realisieren würden, dass auch sie an den starren Rollen und an der Verantwortung, die ihnen mit den Privilegien auferlegt würde, zu beißen hätten. Erst wenn das geschehe, werde sich das erstarrte gesellschaftliche Gefüge der binären Geschlechterrollen entscheidend verändern.

Insofern, liebe Frauen, zeigt sie mir, meine patriarchalen blinden Flecken. Auch diejenigen hier in diesem Text.

Donat Blum studierte von 2011 bis 2015 am Schweizerischen Literaturinstitut. Demnächst erscheint sein Debut.

 

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