Politiken der Arbeit

Es war André Gorz, der vor rund vierzig Jahren mit seinem Buch Abschied vom Proletariat die ersten Fundamente für das Projekt eines bedingungslosen Grundeinkommens gelegt hat. Damals plädierte er dafür, von der marxistischen Vorstellung einer sich durch die Erfahrungen im Arbeitsprozess automatisch revolutionierenden Arbeiterklasse endgültig Abschied zu nehmen und stattdessen nach Möglichkeiten einer Revitalisierung demokratischen Engagements jenseits der Erwerbstätigkeit zu suchen. Das Mittel, das ihm dafür geeignet schien, war das der Auszahlung eines regelmäßigen, an keinerlei Bedingungen geknüpften Mindesteinkommens an alle erwachsenen Gesellschaftsmitglieder, das hoch genug sein sollte, um frei von ökonomischen Sorgen nach je eigenem Gutdünken im öffentlichen Raum aktiv zu werden.2

(Dieser Text ist im Märzheft 2023, Merkur # 885, erschienen.)

Zehn Jahre später hat er diese Vorstellung in einer umfassenden Gesellschaftstheorie noch einmal radikalisiert, indem er zu zeigen versuchte, dass die alte marxistische Parole einer »Befreiung in der Arbeit« aufgrund der technologischen Verselbständigung des industriellen Systems inzwischen jeglichen Sinn verloren habe und daher durch den Plan ersetzt werden müsse, die Erwerbstätigen mithilfe eines Bürgereinkommens »von der Arbeit« selbst zu befreien; erst dadurch würden sie wahrlich, so lautet nun Gorz’ Leitgedanke, zu einem kommunalen Leben in demokratischer Freiheit befähigt.3 Als Philippe Van Parijs dann wenige Jahre später diese Programmatik aufgreift, entkleidet er sie resolut aller deutlich sichtbaren Spuren des Werkes von Hannah Arendt, um aus den weniger spekulativen Resten dann die Grundannahmen einer sozioökonomischen Theorie des »bedingungslosen Grundeinkommens« zu gewinnen.4 In der Form eines solchen schlankeren, aber ethisch gut begründeten Ansatzes sind Van Parijs’ Schriften schließlich zu Gründungsdokumenten eines weltweiten Netzwerks geworden, das bis heute die Plattform aller Aktivistinnen und Aktivisten bildet, die für eine politische Demokratie ohne Bindung an die Sphäre der gesellschaftlichen Arbeit streiten.

Bei den Bedenken, die ich im Folgenden gegen dieses politische Programm vorbringen werde, konzentriere ich mich ausschließlich auf dessen sozialtheoretischen Kern und werde dementsprechend die Seite der wirtschaftstheoretischen Überlegungen zur Quelle und zur Höhe des Mindesteinkommens außer Acht lassen; daher werde ich mich hier auch nicht weiter mit der häufig diskutierten Frage beschäftigen, ob der realistischerweise zu erwartende Umfang des monatlichen oder jährlichen Mindesteinkommens am Ende tatsächlich ausreichen würde, um wirksame Anreize zur aktiven Teilnahme am demokratischen Austausch in der Öffentlichkeit zu schaffen. Die Zweifel, die ich gegenüber dem Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens anmelden werde, sind unabhängig von der Frage nach der finanziellen Summe, die man je nach Standpunkt und Berechnungsgrundlage für die staatlichen Zuzahlungen zu veranschlagen bereit ist.5

Streift man vom Programm eines bedingungslosen Grundeinkommens die Schicht der wirtschaftstheoretischen Kalkulationen ab, wie die zusätzlichen Kosten finanziert werden können und auf welche Summe sich die individuelle Zuwendung am Ende belaufen soll,6 so bleibt als sozialtheoretischer Kern die Vorstellung übrig, dass Menschen ohne den Zwang zur fremdbestimmten Arbeit, aber bei ausreichendem Einkommen ein vitales Interesse daran entwickeln würden, sich in den demokratischen Austausch über öffentlich relevante Belange einzumischen.

 

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