Linkskonservativer Populismus

Die sogenannte Hufeisentheorie hat nicht nur in linken Kreisen einen schweren Stand, erscheint doch die Vorstellung, dass die Ränder des politischen Spektrums fast naturgemäß zusammenpassen, ebenso naiv wie unterkomplex. Nach den Diskussionen um Sahra Wagenknecht, die sich nicht allzu sehr daran zu stören scheint, dass sie mit ihren Friedensaufrufen und Demonstrationen auch völkische Kreise anzieht – und von rechten Zeitschriften zur Kanzlerkandidatin ausgerufen wird –, [1. Vgl. »Die beste Kanzlerin«, Cover des Compact-Magazins 12/2022.] fragen sich aber sogar manche Linke mittlerweile, ob an der These zumindest in diesem Fall nicht ausnahmsweise doch etwas dran sein könnte. Entsteht da womöglich eine neue Querfront?

(Dieser Text ist im Maiheft 2023, Merkur # 888, erschienen.)

Nun ist weithin bekannt, dass es in der deutschen Linken und ihrem Umfeld eine lange Verbundenheit mit Russland und eine Reihe antiwestlicher Ressentiments gibt. Immer deutlicher wird aber, dass hinter Wagenknechts Bewegung ein politisches Programm steht, das über das Thema Krieg und Frieden hinausgeht – und Wagenknechts (Noch)Partei in zwei ideologische Großgruppen spaltet: Linksprogressive und Linkskonservative, wie sich die beiden Fraktionen inzwischen selbst nennen. Die beiden Eigenbezeichnungen sagen viel: Dass sich Linke selbst dem gesellschaftlichen Fortschritt verpflichtet fühlen, sollte nicht eigens betont werden müssen. Was aber hat es mit dem eigenartigen Adjektiv »linkskonservativ« auf sich, auf das sich Sahra Wagenknecht selbst beruft?

Liest man Wagenknecht oder hört sie reden, sei es auf Kundgebungen oder im Fernsehstudio, dann zeigen sich recht klare Konturen: Ihr Linkskonservatismus verknüpft populistische Polarisierungen mit nationalen Tönen und antiliberalen Positionen bei Einwanderung und Asyl, Antidiskriminierung und Identität, Klima und Umwelt. Er steht damit tatsächlich jenseits geltender Parteitagsbeschlüsse und ist doch nicht so neu, wie die kreative Wortschöpfung vermuten lässt. Stattdessen hat der linkskonservative Populismus eine lange und bewegte Geschichte, die über die Person Wagenknecht hinausreicht. Von Teilen der Linken schon früher kritisiert, war er lange Zeit ein Erfolgsrezept – und dürfte trotzdem keine Zukunft haben.

Protest gegen »den Westen«

Will man die historischen Wurzeln des linkskonservativen Populismus in Deutschland ergründen, dann könnte man auf die autoritären Traditionen der SED genauso zurückgehen wie auf den Populismus historischer Bürger- und Protestbewegungen in beiden Teilen Deutschlands. Wirklich zusammen fanden linker Konservatismus und linker Populismus aber erst in den frühen 1990er Jahren, als die Nachfolgerin der SED um ihr politisches Überleben kämpfte. Die »Partei des demokratischen Sozialismus« stand nach dem Ende der DDR und der deutschen Vereinigung vor einem Trümmerfeld. Um sich in der neuen Demokratie einen neuen politischen Daseinszweck zu schaffen, entwickelte die damalige Parteiführung um Gregor Gysi und seinen »Chefstrategen« André Brie ein Konzept, das im Kern auf zwei Großgruppen abzielte. Zum einen wollten sich Gysi und Brie bewusst von der SED absetzen und ihre Partei als Sprecherin nicht der autoritären, sondern der progressiven Linken in ganz Deutschland positionieren. Wer »systemkritisch« dachte und den gesellschaftlichen Fortschritt auf allen Politikfeldern wollte, sollte in der PDS einen Platz finden. Dazu wurden ausdrücklich auch all jene neuen, jungen, alternativen Linken in den Großstädten Westdeutschlands gezählt, die traditionell zur SPD oder den Grünen neigten. Zwar war sich die PDS-Führung bewusst, dass sich diese jungen Menschen von der politischen Kultur der SED maximal unterschieden. Sie galten aber als Zukunft der Partei, weshalb sich auch die PDS neu erfinden sollte: »neu, modern, demokratisch, ökologisch, kulturvoll«, wie das André Brie damals ausdrückte. [1. André Brie, Vorlage für den Parteivorstand der PDS zu einer Wahlstrategie 1994 vom 10. Dezember 1992. In: Archiv Demokratischer Sozialismus, Parteivorstand der PDS – Die Ära Gysi (1989 bis 1993).]

Dass das allein nicht zum Überleben reichen würde, wussten auch die PDS-Strategen. Daher setzten sie zugleich auf eine zweite Großgruppe, die zwar im Schnitt viel konservativer eingestellt war, als es das neue Parteiprogramm vorsah, die aber politisch heimatlos und auf der Suche nach einer politischen Vertretung war: die vielen »Einheitsverlierer« und Enttäuschten, vor allem in Ostdeutschland, »bei denen die Wertschätzung für positive Ergebnisse der DDR-Entwicklung (vor allen Dingen der Wunsch nach sozialer Sicherheit) wiedererstanden ist«, so Brie. Diese Wählergruppen vereinte nicht etwa ihre soziale Stellung als Arbeiterinnen und Arbeiter, und auch nicht ihr Bekenntnis zu den progressiven Traditionen der politischen Linken, sondern vielmehr ihre Position im und zum ostdeutschen Transformationsprozess: Es ging um die Zurückgewiesenen und DDR-Nostalgischen, um die Arbeitslosen und Bedrohten – kurz um die Kritikerinnen und Verlierer des gesellschaftlichen Wandels.

Um diese Bevölkerungskreise anzusprechen, entwickelte die damalige PDS eine ausgesprochene Proteststrategie, die über die klassischen Grenzen linker Politik hinausreichen sollte. In Parlamentsreden und Wahlwerbespots, vor allem aber auf den Straßen und Plätzen Ostdeutschlands warf sie den Parteien aus dem Westen und den westdeutschen Konzernen, die sich im Osten einkauften, eine mutwillige »Zerstörungsstrategie« vor. Der Osten solle »kolonisiert«, seinen Bürgerinnen und Bürgern die sozialistische Heimat und ihre ostdeutsche Identität genommen werden – »und damit die Voraussetzung für eine selbstbewusste Vertretung ihrer Interessen«, wie die PDS in ihrem Parteiprogramm schrieb. Nur die Ost-Linke könne diesen Kolonisierungsversuch abwehren: »Keine Verwestlichung des Ostens«, lautete die Botschaft. [1. PDS-Parteiprogramm 1993.]

Was die PDS-Spitze damals kreierte, war ein populistischer Diskurs par excellence. [1. Vgl. Ernesto Laclau, On Populist Reason. London: Verso 2005; Cas Mudde, The Populist Zeitgeist. In: Government and Opposition, Nr. 39, 2004.] Er basierte auf einer eindeutigen Gegenüberstellung »des Volks« (der Ostdeutschen) mit »den Eliten« (»dem Westen«) und dem Anspruch, dieses Volk zusammenzuführen und exklusiv zu vertreten. Die individuellen Schicksale der demokratisch-kapitalistischen Transformation – Statusverlust, Unsicherheit, Arbeitslosigkeit – wurden in ein kollektives Deutungsschema gepackt, das Antworten gab und Lösungen versprach. »Der Osten« konstituierte sich als politisches Subjekt mit einem gemeinsamen »Wir«-Gefühl, das zu seinem Recht kommen sollte.

Dazu betrieben Gysi und Co. nicht nur eigene Kampagnen. Sie gründeten Anfang der 1990er Jahre auch eine Reihe von Basis-Initiativen, »Komitees für Gerechtigkeit« genannt, die den Protest gegen den Westen jenseits der Parlamente und über Parteigrenzen hinweg organisieren sollten. [1. Dazu ausführlicher Thorsten Holzhauser, Die Nachfolgepartei. Die Integration der PDS in das politische System der Bundesrepublik Deutschland 1990–2005. Berlin: de Gruyter 2019.] Mit Peter-Michael Diestel, dem vormaligen CDU-Fraktionschef im Landtag von Brandenburg, sicherte sich Gysi sogar einen konservativen Gewährsmann, der die Initiativen unterstützte und die Bewegung auch in SED-kritischen Kreisen Ostdeutschlands stärken sollte. Zuspruch erhielten die Komitees aber nicht nur im Osten. Auch einige prominente Persönlichkeiten der westdeutschen Linken wie die Liedermacher Franz-Josef Degenhardt und Hannes Wader oder der Kabarettist Dieter Hildebrandt zeigten sich interessiert und hofften, eine alternative Bewegung gegen die Regierung Kohl aufbauen zu können. [1. Vgl. Reinhard Mohr, Verein der Wiedergänger. In: taz vom 14. Juli 1992; »Irgendwas anschieben«. Interview mit Dieter Hildebrandt. In: taz vom 10. Juli 1992; W. Gast /B. Markmeyer, »Operation Gystel« ab Samstag. In: taz vom 10. Juli 1992.] Es waren die zwei Flügel einer neuen Protestbewegung, so zumindest die Hoffnung.

Die Strategie ging nicht vollends auf: Eine großangelegte außerparlamentarische Bewegung konnte nicht begründet werden. Vor allem im Westen interessierte sich über die genannten Prominenten hinaus kaum jemand für die Ost-Interessen. An den ostdeutschen Wahlurnen aber profitierte die PDS von ihrem »Ostpopulismus« doch erheblich und rauschte von einem Wahlerfolg zum nächsten. Vom Sterbebett der SED aus konnte sich die diskreditierte Staatspartei so eine neue politische Funktion als Protestpartei »des Ostens« erarbeiten, die ihr Überleben sicherte. Sie sprach nun auch Wählerschichten an, die mit einer sozialistischen Partei sonst nicht viel hätten anfangen können.

Linke Querfronten?

Aber war der »linke« Populismus noch links? In der Tat bestanden in Teilen der Partei schon damals erhebliche Sorgen, ob die neuen Bündnisse mit Konservativen und der neue Kulturkampf-Ton zwischen ostdeutscher Heimat und westdeutschen Eindringlingen zum progressiven Eigenanspruch der PDS passten. Dass die Partei mit ihren identitätspolitischen Angeboten in direkte Konkurrenz zu »rechtspopulistischen Kräften« trat, insbesondere um solche Wählerinnen und Wähler, die zu einer »nostalgischen Verklärung« der Vergangenheit im »Friedensstaat« DDR neigten, war den Parteistrategen sehr wohl bewusst. [1. André Brie, Wahlstrategie 1994.] Ja, der linke Populismus wurde ausdrücklich als Gegenrezept konzipiert – weil er mit einem sozial-emanzipativen Anspruch ausgestattet wurde, »diesem Volk auch wieder ein Stück Selbstvertrauen zu geben«, so Gregor Gysi. [1. Gregor Gysi, zit. n. Tagung des SED-Parteivorstands (unkorrigierte stenografische Niederschrift), 20. Januar1990. In: Archiv Demokratischer Sozialismus.] Der benachteiligte »Osten« sollte als politisches Subjekt gestärkt und in die Gleichberechtigung geführt werden. Nur so könne Ostdeutschland auch seine sozialen Ansprüche im Transformationsanspruch geltend machen. Auch die Kommunistische Plattform von Sahra Wagenknecht trug die neue Strategie mit, indem sie bei ihrem orthodoxen Marxismus ein Auge zudrückte und Ost-Interessen kurzerhand mit Arbeiterinteressen gleichsetzte. [1. Vgl. Christian von Ditfurth, Ostalgie oder linke Alternative. Meine Reise durch die PDS. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1998.]

Mit der politischen Realität passte das allerdings nur bedingt zusammen. Teils unbemerkt, teils ungewollt sprach der links gedachte Populismus allerlei konservative und nationalistische Kräfte an. In bürgerlichen Kreisen dominierte zwar weiterhin die Abscheu vor den Kommunisten und ihren Mobilisierungsversuchen. Aber auch erbitterte Gegner, wie der rheinland-pfälzische CDU-Chef Christoph Böhr, staunten darüber, wie zielgerichtet die PDS die »täglichen Sorgen« der »Leute im Osten« aufgreife: »Wir können noch was von der PDS lernen«, so Böhr. [1. »Wir können von der PDS lernen«. Interview mit Christoph Böhr. In: Focus vom 26. Oktober 1998.] Konnten Linke mit diesem Lob aus konservativem Mund noch leben, so waren ähnliche Stimmen von weiter rechts deutlich unangenehmer. Während sich PDS-Mitglieder und Sympathisanten in den sozialen Auseinandersetzungen der »Baseballschläger-Jahre« den gewaltbereiten Rechtsextremen in den Weg stellten und zivilgesellschaftliche Gegenwehr zu organisieren versuchten, nahm man im Parteiapparat auch Gegentendenzen wahr: Besorgt wurde in Führungsgremien berichtet, dass es auch an der eigenen Basis »rassistische und ausländerfeindliche Positionen« gebe. [1. Protokollnotizen zum Treffen mit den Vorsitzenden der Landtagsfraktionen der PDS am 4.9.1992 in Berlin; vgl. auch Sebastian Prinz, Die programmatische Entwicklung der PDS. Kontinuität und Wandel der Politik einer sozialistischen Partei. Wiesbaden: VS Verlag 2010.] Die sozialistische Heimat zeigte sich zwiespältig.

Sollte man diese Stimmungen bekämpfen oder aufgreifen? Schon im Jahr 1993 führte die Dresdner Stadträtin und frisch gekürte stellvertretende Parteivorsitzende Christine Ostrowski im Geheimen Gespräche mit Neonazi-Kadern, um diese von der guten Sache zu überzeugen – und machte Gemeinsamkeiten in der Sozialpolitik aus. [1. Vgl. PDS-Vize zurückgetreten. In: taz vom 16. März 1993.] Die Parteispitze um Gregor Gysi und Lothar Bisky reagierte abweisend und schob jeder Querfront-Überlegung einen Riegel vor: Eine linke Partei dürfe sich nicht der »verbreiteten Stimmung in der Bevölkerung« anpassen, hatte Gysi schon in der Asyldebatte des Vorjahrs deutlich gemacht. [1. Gregor Gysi an die Mitglieder des Bundesvorstandes und des Bundesparteirates der PDS, Berlin, 30. November 1992. In: Archiv Demokratischer Sozialismus.] Die PDS müsse links und antifaschistisch bleiben. Ostrowski musste zurücktreten, blieb aber in der Partei und setzte sich auch weiter dafür ein, von allzu linken Positionen Abstand zu nehmen und stattdessen die ostdeutsche »Mitte« zu repräsentieren – inklusive »realistischerer« Positionen in der Zuwanderungspolitik. [1. Vgl. Christoph Seils, Magere Ergebnisse. Interview mit Christine Ostrowski. In: taz vom 11. Mai 1996.]

Frieden mit Diktatoren

Auch danach blieb offen, wovon sich die linke, emanzipatorische Definition des Volkes von einer rechten, konservativen bis nationalistischen unterscheiden sollte. Die von der PDS-Spitze geteilte Behauptung, die Welle rechter Gewalt in Teilen Ostdeutschlands sei allein eine Folge der »Anschlusspolitik« und den »Herrschenden im Westen« anzulasten, [1. André Brie, Referat vor dem Parteivorstand der PDS am 14.12.1990. In: Archiv Demokratischer Sozialismus.] fiel den vielen Aktiven vor Ort in den Rücken, die sich gegen rechte Gewaltstrukturen und für ein liberaleres politisches Klima einsetzten. Stattdessen entlastete sie die ostdeutsche Mehrheitsgesellschaft, die sich weiter als verantwortungsloses Opfer sehen konnte. Es zeigte sich bald: Die PDS konnte sich noch so sehr zu progressiven Werten bekennen – ihr strategischer Populismus blieb trotzdem in einigen Politikbereichen anschlussfähig nach Rechtsaußen, weil sich der Protest ähnlicher Formen und Schlagwörter bediente.

Das galt nicht zuletzt in der Frage von Krieg und Frieden, die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in neuen Dimensionen auf die Agenda trat. Offiziell lehnte die Partei Gysis und Wagenknechts den Golfkonflikt 1991 und den Kosovokrieg 1999 als westliche Aggressionen ab und berief sich auf Multilateralismus und Völkerrecht. Eine ganze Reihe von Politikerinnen und Politikern bediente sich aber offen rechter Codes, sprach von »Bombenterror« und »Bombenmördern« und stellte die NATO-Operationen in einen Zusammenhang mit der Bombardierung Dresdens durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg. [1. Christine Ostrowski, zit. n. PDS-Pressedienst vom 31. März 1999.] Während der grüne Außenminister Joschka Fischer den NATO-Angriff auf Jugoslawien mit dem antifaschistischen »Nie wieder Auschwitz« begründete, da nur so die Menschenrechtsverletzungen im Kosovo beendet werden könnten, reiste Gregor Gysi nach Belgrad, um mit dem nationalistischen Staatschef Slobodan Milošević Friedensgespräche aufzunehmen.

Frieden mit dem Diktator statt Solidarität mit den Opfern? Schon damals fühlten sich manche in der Partei unwohl mit dieser Situation und mahnten, die Vermittlungsversuche nicht zu sehr wie Solidarisierung mit einem Antidemokraten aussehen zu lassen. Andere erinnerten sich an die Eskapaden von Sahra Wagenknecht in den frühen 1990er Jahren, als diese ganz offen ihre Bewunderung für Stalins »beeindruckende« Modernisierungspolitik zum Ausdruck gebracht hatte [1. Sahra Wagenknecht, Marxismus und Opportunismus – Kämpfe in der Sozialistischen Bewegung gestern und heute. In: Weißenseer Blätter, Nr. 4, 1992.] – sehr zum Verdruss der Parteivorderen, die ihr »menschenverachtende« Ideologien vorwarfen. [1. André Brie, Also zurück zu Stalin? Eine Auseinandersetzung mit ideologischen Positionen Sahra Wagenknechts vom 16. November 1992. In: Archiv Demokratischer Sozialismus.] Wie es die selbsternannte demokratische Linke denn nun mit autokratischen Herrschern hielt, die vom Westen bekämpft wurden, zeigte sich immer wieder als offenes Problem. Und während sich die einen – wie Gysi – zu einer vermittelnden Friedenspolitik berufen fühlten, zeigten andere mehr oder weniger offen ihre Sympathien für starke Männer mit rückwärtsgewandten Weltbildern.

So umstritten die damalige »Friedenspolitik« der PDS aber war, sie erweiterte die eigene Klientel sichtlich und schuf neue Bündnisse: nicht nur mit Teilen der traditionellen Friedensbewegung, die sich von den kriegsführenden Regierungsparteien SPD und Grüne abwandten, sondern auch mit antiwestlichen Verschwörungsideologen, denen es weniger um die Frage »links oder rechts« ging als um die klare Orientierung gegen den liberalen Westen und seine Führungsmacht in Washington. Zur Partei kamen nun so unterschiedliche Persönlichkeiten wie die Präsidententochter und Theologin Uta Ranke-Heinemann, die als parteilose Pazifistin für die PDS bei der Bundespräsidentenwahl 1999 gegen den Ehemann ihrer Nichte Johannes Rau kandidierte – aber auch der sozialdemokratische Liedermacher und Unternehmer Diether Dehm, ein Mann, der die Worte »national« und »sozialistisch« für die Linke »zurückzuholen« suchte, [1. Diether Dehm, Heimat und Kleineigentum. Auf der Suche nach Europa in Deutschland. Veröffentlicht am 10. Oktober 2007 (www.diether-dehm.de/positionen/fragen-zur-linken-hegemoniearbeit/133-heimat-und-kleineigentum).] und mit solchen Positionen bis heute Teile der Partei zur Weißglut bringt.

Linke und rechte Konservative

Berühren sich die Ränder also doch? War die Linke schon immer eine Partei des Hufeisens? Das zu behaupten, würde ein doppeltes Charakteristikum des linkskonservativen Populismus verkennen: Zum einen war dieser innerparteilich immer hochumstritten, da er in wesentlichen Punkten dem progressiven Selbstbild und dem offiziellen Programm der Partei widersprach. Da »das Volk« in zentralen Fragen wie Einwanderung, Lebensstile, Ökologie, Wirtschaftssystem und Demokratievorstellungen deutlich rechts der PDS-Programmatik stand, blieb die populistische Strategie immer prekär. Daher ging es zweitens beim linkskonservativen Populismus weniger um ein zielgerichtetes Anbiedern an den rechten Rand als um eine Annäherung an »die Mitte«, die »einfache« Bevölkerung. Viele Positionen, die die frühere PDS und später Die Linke anschlussfähig an rechte und nationalistische Kreise machten, hatte sie nicht exklusiv. Sie fand stattdessen immer Gleichgesinnte in der »Mitte der Gesellschaft«, die ähnlich dachten und sprachen.

Das zeigte sich nicht zuletzt bei der Kampagne gegen die Agenda 2010, im Zuge derer sich die heutige Linkspartei formierte. Die Proteste, die um das Jahr 2005 einsetzten, waren das direkte Vorbild für die Strategie, derer sich Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht mit ihren heutigen »Friedensdemonstrationen« bedienen. Lafontaine gelang es damals, die sozialistische Linke aus ihrem ostdeutschen Milieu zu lösen und zum führenden Teil einer bundesweiten Protestbewegung zu machen. Wie heute (»Frieden«) ging es im Jahr 2005 in erster Linie um ein klassisches linkes Thema (»soziale Gerechtigkeit«), das der Volkstribun und seine neue Verbündete in populistischer Manier zum Gegensatz zwischen Volksmeinung und Eliteninteresse, Mehrheit und Minderheit stilisierten: »Wie lange lässt es sich das Volk noch gefallen, dass eine wohlhabende Minderheit ihm auf der Nase herumtanzt?«, so Oskar Lafontaine im Jahr 2005. [1. Vgl. Oskar Lafontaine, Politik für alle. Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft. Berlin: Econ 2005.]

Dass es nicht lange dauerte, bis auch Rechtsextreme an den Demonstrationen teilnahmen, kann kaum verwundern. [1. Vgl. Stefan Berg u.a., Fegefeuer des Volkszorns. In: Spiegel vom 30. August 2004.] Was aber zur Querfront zu werden drohte, basierte auf einem geschickten Spiel mit bürgerlichen Urängsten. Wie heute verknüpften Lafontaine, Wagenknecht und ihre Vertrauten ihre Vorstöße mit einem gesellschaftspolitischen Diskurs, der mit dem offiziellen Parteiprogramm nicht viel gemein hatte, aber zentrale konservative Talking Points der Nullerjahre aufnahm: die Angst vor einem »Kampf der Kulturen« und vor muslimischen »Parallelgesellschaften«, das Bangen um die »kulturelle Identität« Europas angesichts zunehmender Einwanderung aus arabischen Ländern und die Furcht vor einem globalisierten Verdrängungswettbewerb am Arbeitsmarkt.Was konservative Kampagnen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, erleichterte Zuwanderung (»Kinder statt Inder«) und die deutsche »Leitkultur« vorbereitet hatten, nahmen die Linkskonservativen nur zu gern auf und pressten es in ein sozialpolitisches Protestprogramm: Heraus kam die Forderung nach einem protektiven Staat, der fleißige deutsche »Familienväter und Frauen« vor Einwanderern, »Fremdarbeitern« und kriegslüsternen »Eliten« schützen müsse. [1. Oskar Lafontaine in einer Rede in Chemnitz am 14. Juni 2005. Zit. n. Matthias Meisner, Die NPD lobt Lafontaine. In: Tagesspiegel vom 18. Juni 2005.]

Mit diesen Provokationen schürten Lafontaine und Wagenknecht jenen Konflikt in der Partei und innerhalb der gesamtdeutschen Linken, der, wie nicht zuletzt die kontroversen Reaktionen auf die jüngste »Friedensdemo« gezeigt haben, bis heute schwelt. Ähnlich wie zuletzt zeigten sich auch damals Politikerinnen und Politiker wie Katja Kipping und Petra Pau entsetzt über die Renaissance »rechter Klischees« [1. Petra Pau, Mein Konflikt mit Oskar Lafontaine. Berlin, 5. Juli 2005 (www.petrapau.de/pds/dok/050705_an_lafontaine.htm).] und »ausländerfeindlicher Ressentiments« [1. Klaus Jansen, »Lafontaines Äußerung ist einfach daneben«. Interview mit Katja Kipping. In: taz vom 17. Juni 2005.] in linken Kreisen. Katina Schubert empfand es damals wie heute als »nur sehr schwer aushaltbar« in der Partei. [1. Annika Joeres, »Wir müssen eine Altherrenpartei verhindern«. Interview mit Katina Schubert. In: taz vom 30. Juli 200] Diether Dehm wiederum, bis heute einer der engsten Mitstreiter Wagenknechts und Lafontaines, sorgte sich angesichts solcher Kritik vor einer linken Erziehungsdiktatur, die »Heimatgefühle« unterdrücken wolle. [1. Vgl. Sebastian Prinz, Die programmatische Entwicklung der PDS.] Auch das Schreckgespenst Cancel Culture wurde damals schon an die Wand gemalt.

Bündnis am Ende

Und was tat die Parteiführung? Wie heute schwankte der Parteivorstand der neu benannten »Linkspartei« im Jahr 2005 zwischen Zurechtweisung und Diplomatie, distanzierte sich vorsichtig von allzu rechten Vorstößen aus der Partei, versuchte aber, das fragile Bündnis zwischen Progressiven und Linkskonservativen zusammenzuhalten, in das man die eigenen Hoffnungen setzte. Das Ergebnis war äußerst zwiespältig: Denn wie schon in den Ost-Debatten der frühen 1990er Jahre und in den Kriegsdebatten der Jahrtausendwende war auch in den Jahren seit 2005 die Doppelstrategie äußerst erfolgreich, linke Inhalte mit populistischen Mobilisierungstechniken zu verbinden. Mit seiner Mischung aus Populismus, Realpolitik und linksprogressiven Ansätzen konnte das ungleiche Bündnis nicht nur zusammengehalten werden, ihm glückte im Jahr 2007 sogar die Fusion und die Expansion nach Westen. Der innere Konflikt wurde so zum Geburtsmerkmal der gesamtdeutschen Linken – und gilt manchen auch als ihre Existenzgrundlage.

Dieser Umstand erklärt auch, warum es der heutigen Partei- und Fraktionsführung so schwerfällt, sich klar auf eine Seite zu schlagen. Sie weiß um die progressive Identität der Linken, die durch jede konservative Spitze aus der Partei selbst immer mehr ausgehöhlt wird. Sie glaubt aber auch weiter daran, dass es die Portion Populismus und die Mobilisierung von Kräften jenseits linksprogressiver Milieus braucht, um eine breite soziale Bewegung kreieren und an frühere Erfolge anknüpfen zu können. Dazu kommt der Umstand, dass das Friedensthema besonders schlecht geeignet scheint, um sich von Wagenknecht zu trennen: Wie kann sich die selbsternannte Friedenspartei gegen jene Kräfte stellen, die sich besonders lautstark für Frieden und Abrüstung stark machen und damit jene Stimmen in der Gesellschaft ansprechen, die sich tatsächlich aufrichtig vor einer militärischen Eskalation fürchten?

So verständlich das Schwanken der linken Parteiführung aber auch ist: Es müsste mehr als deutlich geworden sein, dass das langjährige Erfolgsrezept nicht mehr funktioniert. Im Gegenteil: Die Partei driftet immer weiter auseinander und ist mittlerweile kurz davor, auseinanderzubrechen. Das hat mit einem signifikanten Generationenwechsel zu tun. In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter einer jüngeren Generation in Parteifunktionen und Parlamente gekommen, die ihr Linkssein mit einem dezidiert progressiven Gesellschaftsbild – und der Bereitschaft zum plakativen Protest – paaren. Auch sie wollen eine gesellschaftliche Bewegung anführen, die dafür arbeitet, eine linke kulturelle Hegemonie zu erschaffen. Die »Bewegungslinken« und viele ihrer gemäßigteren Verbündeten vom Realo-Flügel sind aber nicht mehr bereit, dafür konservative und nationalistische Positionen zu dulden, die dem eigenen Ziel zuwiderlaufen. Ob sie es schaffen, den hartnäckigen Linkskonservatismus der Partei über Bord zu werfen, oder ob die Linke über dem Konflikt vollends zerbricht, ist weiter offen. Eine dritte Option ist aber unwahrscheinlich geworden.