Videospiel und Roman

Tonio Schachingers Roman Echtzeitalter, Gewinner des Deutschen Buchpreises 2023, erzählt aus dem Leben des jungen Till Kokorda, Schüler an einem renommierten Wiener Gymnasium, der dort unter den Drangsalierungen seines tyrannischen Lehrers leidet und sich deshalb ins exzessive Gaming flüchtet. Auf den ersten Blick mögen die Gründe für die Gunst der Jury im minimalistischen Stil, der präzisen Beobachtungsgabe und einer Prise Coming of Age zu finden sein. Was den Roman allerdings darüber hinaus auszeichnet, ist eben die ausufernde Beschreibung von Videospielen.[1]

In der Begründung der Jury hieß es: Die eine Welt des Romans sei die analoge Realität, in der auch „die Frage nach dem gesellschaftlichen Ort der Literatur“ zu stellen ist.[2] Daneben aber biete die Welt der Videospiele „einen Ort der Fantasie und Freiheit“ – womit sie an die Stelle dessen tritt, wofür traditionell die Literatur zuständig war: Goethes Wilhelm Meister zum Beispiel findet in Shakespeare ein Kraftfeld zur Bewältigung seiner inneren Konflikte, Flauberts Madame Bovary flüchtet sich in die Literatur vor den patriarchalen Zwängen der bürgerlichen Ehe – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

In Schachingers Roman hingegen hat die Literatur diese klassische Rolle abgegeben: „Wenn er nach Hause, also in die Wohnung seiner Mutter kommt, fährt er als Erstes seinen PC hoch und öffnet AoE, oft bevor er am Klo war oder einen Schluck Wasser trinkt.“ Das Kürzel steht für den 1999 erschienenen Strategiespiel-Klassiker Age of Empires II, in dem es Till im Laufe des Romans zur Meisterschaft bringt: Er avanciert zum weltweit jüngsten Top-10-Gamer und bestreitet neben dem Schulalltag diverse Turniere, ein Großteil seines adoleszenten Lebens ist dem Gaming gewidmet.

Till „spielt ein Match und noch eins, merkt nicht, dass er durstig ist oder pinkeln muss, denkt: Nach dem nächsten Match geh ich was trinken. Und spielt trotzdem gleich noch eins. Merkt nicht, wie drei Stunden vergehen, vergisst seinen Durst und seinen Hunger, spielt noch eines und noch eines.“ Die virtuellen Welten lassen Tills tatsächliche Lebensumgebung auf ein Minimum zusammenschrumpfen und stattdessen eine anders gelagerte Intensität in sein Leben treten.

Doch der Roman ist weit davon entfernt, Videospiele als kommerziellen Eskapismus abzutun oder an ihnen einen allgemeinen Bildungsniedergang zu exemplifizieren. Vielmehr werden im Videospiel neuartige ästhetische Eigenschaften entdeckt: „Wüsste Tills Mutter, dass es bei Computerspielen nie um Gewalt geht, sondern immer um Immersion, und brächte sie diese Erkenntnis damit in Verbindung, wie sie es empfindet, in ein Kunstwerk einzutauchen, in einen Haneke-Film oder ein Händel-Oratorium, dann könnte sie vielleicht nachvollziehen, warum Till sich zu etwas hingezogen fühlt, das ihm jeden Abend garantiert, was Kunst nur in ihren besten Momenten schafft.“

Die Identifizierung mit einem Avatar, die Interaktion in Echtzeit mit anderen Userinnen und Usern und das mit dem eigenen Spielverhalten kombinierte world building bieten zuvor ungekannte Formen der Immersion. Noch dazu bietet das Videospiel ein ästhetisches Erleben, das ohne besondere Bildungsvoraussetzungen auskommt. Die virtuellen Umgebungen treten dabei nicht nur in Konkurrenz zu den klassischen Kunstformen, ihre Besonderheit liegt vielmehr darin, dass sie eine ernstzunehmende Konkurrenz für die Wirklichkeit selbst bedeuten.[3]

Diese Verlagerung der Lebenswelten ins Virtuelle findet sich inzwischen auch in der Romanliteratur nachvollzogen, nicht zuletzt im deutschen Erfolgsgenre des Bildungsromans. Das Ergebnis ist eine Literatur, die die virtuellen Welten des Gaming nicht nur zum expliziten Gegenstand macht, sondern sie auch als primäre oder zumindest gleichwertige Wirklichkeiten integriert. Wenn also, mit Blumenberg gesprochen, „Thema und Anspruch des Romans“ letztlich die Erschaffung einer eigenen Welt ist, so bricht in dieses theoretische Szenario nun mit einem Mal das Gaming ein, das die gewohnte Lebenswelt durch eine virtuelle ergänzt oder ersetzt.[4]

Es tritt dabei ein Schreiben auf, an dem die Literaturwissenschaft ihr bisheriges Begriffsrepertoire erproben oder womöglich neugestalten muss. Welche Kriterien der Gaming-Ästhetik lassen sich aber überhaupt mit literaturwissenschaftlichen Mitteln fassen? Handelt es sich nur um eine weitere mediale Differenz – oder verändert das Gaming am Ende das, was bisher im Roman als Welt firmierte?

Digitaler Naturalismus

Der vieldiskutierte Roman Miami Punk (2019) von Juan S. Guse setzt mit der Reise einiger Gamer nach Miami ein, sie wollen dort am letzten offiziellen Turnier des Online-Shooters Counter-Strike teilnehmen. Die Beschreibungen dieses und weiterer Videospiele nehmen große Teile des Romans ein. So wird gleich im ersten Kapitel ein Online-Match (abermals) von Age of Empires II beschrieben, in dem Robin, eine der Hauptfiguren, gegen „mariamartha_89“ antritt. Auffällig ist der Detailgrad der Beschreibung: „Robin beginnt mit der sofortigen Produktion von fünf zusätzlichen Dorfbewohnern, während die von Beginn an frei verfügbaren drei Dorfbewohnerinnen den Befehl erhalten, zwei Häuser zu bauen, was die maximale Population von fünf auf fünfzehn erhöht. In der Regel sollte man simultan damit anfangen, mit dem Späher immer größere Kreise um das eigene Dorfzentrum zu ziehen, auf der Suche nach den sechs Schafen, den Beeren, nach der kleinen und der großen Goldmine, dem Stein, den beiden Ebern, dem Wild und den Holzvorkommen, um dann nach ungefähr vierzig bis sechzig Sekunden zwei der gefundenen Schafe dafür zu verwenden, ebenfalls die unmittelbare Gegend zu erkunden, während man gleichzeitig den Rest der Schafe ins Lager zu den Dorfbewohnerinnen zurückschickt, damit sie von diesen geschlachtet werden können, sodass von da an, etwa eine Minute im Spiel, die Nahrungsproduktion der eigenen Wirtschaft ins Rollen gerät.“[5]

Die Passage führt vor, welche minimalen Reaktionszeiten das Videospiel abverlangt. Zugleich wird das aber in vergleichsweise gemächlicher Prosa festgehalten. Während solche Matches mit ihren hochfrequentierten builds sonst auf Plattformen wie Youtube oder Twitch von der Community in Echtzeit bestaunt werden können, wählt Guse einen protokollarischen Stil, der die Immersionsleistung mit einem Satz parallellaufen lässt, der kaum an ein Ende kommen will.[6] Die Literaturwissenschaft spricht von Sekundenstil, wenn die erzählte Zeit – das Geschehen, das berichtet wird – und die Erzählzeit – die Dauer, die benötigt wird, um das Geschehen zu rezipieren – mehr oder weniger deckungsgleich werden.

Der Terminus geht zurück auf den Literaturhistoriker Adalbert von Hanstein, der damit die minutiösen Beschreibungstechniken des Naturalismus zu fassen suchte, einer literarischen Strömung, die ihrerseits auf die technische Revolution des ausgehenden 19. Jahrhunderts reagierte: die Erfindung des Phonographen, der Fotografie und des frühen Films. Naheliegend scheint daher, von einem „Dynamit der Zehntelsekunden“ (Walter Benjamin im Kunstwerk-Aufsatz) auch im Hinblick auf das heutige Gaming zu sprechen. Doch wie weit tragen derlei Vergleiche?

Die Dynamiken des Spielgeschehens drängen jedenfalls geradezu auf solch ein Verfahren, will man den sekundengenauen, strategischen Bewegungen in der Darstellung gerecht werden. Im Genre der „Echtzeitstrategie“ wie bei Age of Empires geschehen sämtliche Aktionen fortlaufend und simultan, ohne dass die Spielenden die Möglichkeit hätten, eine Pause einzulegen oder lange nachzudenken. Im Gegenteil: Die durchratifizierten Produktionsketten, die spezifischen Tech-Builds und die unentwegten militärischen Angriffe auf die eigene Basis beschleunigen sich noch im Verlauf der Partie. Die ästhetische Erfahrung des Videospiels drängt somit auf ein Aussetzen der Weltzeit – zugunsten einer intensivierten Echtzeit. Die literarischen Verfahren der Gegenwart wiederum beabsichtigen, diese Immersion unmittelbar in Prosa zu übersetzen und begeben sich dabei in die Nähe eines digitalen Naturalismus.

Während die Literaturwissenschaft nun nicht müde wird, die Relevanz der Fotografie und des Films für das Schreiben des 20. Jahrhunderts zu betonen, tut sie sich mit dem Gaming für das 21. noch immer schwer. Zwar lassen sich erste Annäherungen verzeichnen: etwa mit der neu angelegten Computerspiele-Sammlung im Literaturarchiv Marbach und der einschlägigen Forschung zur sogenannten Glitch-Literatur.[7] Doch ändert das nichts an der generell vorherrschenden Defensive der Germanistik in diesem Zusammenhang.

Der Roman Miami Punk konstruiert indessen einen ganzen Nexus an Referenzen, der zwischen Hoch-, Populär- und Gaming-Kultur sowie einem avancierten Theorieinventar nicht unterscheidet. So lassen die bereits erwähnten „elektrischen Schafe“ an Philip K. Dicks Cyberpunk-Klassiker denken.[8] Daneben arbeitet die junge Programmiererin Robin an dem ehrgeizigen Spielprojekt Das Elend der Welt, das den Titel von Pierre Bourdieus Studie La misère du monde (1993) über die Pariser Banlieues zitiert.[9] Zwar sind derlei Amalgame von High- und Low-brow-culture aus dem postmodernen Roman bekannt, doch verlangen Echtzeitalter und Miami Punk ein derart profundes Wissen um die Inhalte und den Jargon der Gaming-Szene, das von einer Modifikation auch der literarischen Rezeptionsweise gesprochen werden muss.[10]

Wenn im Roman Miami Punk etwa von „einer so wichtigen Map wie de_dust2“ die Rede ist, wird nicht nur wie selbstverständlich erwartet, darin eine der ikonischen Umgebungen des Online-Shooters Counter-Strike zu identifizieren. Mehr noch verweisen derartige exklusive Assoziationen auf eine – in gewisser Hinsicht – gemeinsam erfahrene Lebenswelt der Lesenden.

Weltsemantiken

Im Gegensatz aber zu den imaginären Orten der klassischen Romanliteratur entstehen diese virtuellen Welten allerdings nicht allein im Geist der Lesenden. Stattdessen handelt es sich um Areale, an denen die Leserinnen und Leser meist selbst schon gewesen sind, die sie also aus eigener Anschauung kennen – doch existieren diese Orte bloß als virtuelle Umgebungen. Es können Videospiele zwar durchaus „Wirklichkeitspartikel zum Ausgangspunkt nehmen“, doch sind sie in keiner Weise dazu verpflichtet.[11] Denn der besondere Reiz von Videospielen liegt ja gerade darin, die Spielerinnen und Spieler an noch unbekannte oder fantastische Orte zu versetzen, wo sie miteinander in Aktion treten können.

In einem fiktiven Interview in Miami Punk stellt der Journalist Paul Lienhard der Programmiererin Robin die Frage, „ob es in ihrer Jugend einen besonderen Moment der Einsicht gegeben habe, der sie dazu inspiriert hatte, solche Spiele zu schreiben“. Robin antwortet, vermutlich sei dies der Moment gewesen, „als sie das erste Mal die Nase ihres Raumschiffs in Star Fighter für den Omega PC nach oben zog und nicht mehr damit aufhörte. Wider Erwarten realisierte sie nämlich, […] dass es […] kein ungeschriebenes Verbot gab, das sie daran hinderte, ihr Schiff gegen den Himmel zu richten und so lange zu fliegen, bis sie durch den milchigen Dunst der Stratosphäre stieß und plötzlich im Weltall schwebte.“

Genau diese medialen Selbstdifferenzen wendet Miami Punk aber noch auf sich selbst an: etwa mit den Verlinkungen ins Digitale, wenn zum Beispiel eine passwortgeschützte Seite im Internet weitere Inhalte des Romans freigibt. Das Passwort wiederum versteckt sich im Romantext, so dass dieses selbst freigespielt werden kann. Dem Videospiel widmet sich der Roman also nicht nur inhaltlich, er produziert auch gewisse Strukturähnlichkeiten. So gleicht das Lesen der lose angeordneten Kapitel und der darin verstreuten Mikronarrative eher dem Erkunden einer Open World, als dass hier erneut Assoziationen an Ulysses und den enzyklopädischen Roman bemüht werden müssten. Für diese Annahme spricht auch das eigens eingerichtete Browser-Game gleichen Namens, das die Romanwelt aus der Ego-Perspektive erleben lässt.[12]

Dem bestehenden Kanon der Videospiele werden in der heutigen Literatur aber auch neue hinzugefügt: Ein besonders ausgefallenes Beispiel dafür findet sich in Joshua Groß’ Roman Flexen in Miami mit seiner virtuellen Welt, die Cloud Control heißt. Auf den ersten Blick gleicht das Spiel zwar der einst populären Alltagssimulation Second Life, doch tun sich bald Abgründe darin auf, die gänzlich der Fantasie des Autors entsprungen sind. Seitenweise Threads und Direktnachrichten werden im Roman zitiert, die die fragwürdigen Innovationen des Programms schildern: „es ist so: cc greift auf die sozialen netzwerke und die mailaccounts der spieler zu und generiert daraus die welt.“ Das Spiel erschafft also eigenständig Avatare, und zwar basierend auf den Identitäten, die es in sozialen Netzwerken und Mailaccounts der jeweiligen Nutzerinnen und Nutzer findet. Noch dazu sind diese dann aber kaum mehr von tatsächlichen Gamern zu unterscheiden, „es gibt also spams, die so aussehen wie unsere freunde in real life oder bekanntschaften von tinder oder facebook oder instagram oder etc. das ist ziemlich creepy.“[13]

Die Differenz von analoger Wirklichkeit und virtuellen Welten scheint damit umso uneindeutiger, je mehr beide Ebenen sich gegenseitig durchdringen. Das betrifft noch die Semantik der zwei Welten, von denen etwa die Jury des Buchpreises spricht, ist in Groß‘ Roman doch stellenweise gar nicht mehr zu klären, in welcher Welt das Geschehen eigentlich statthat.

Cozy Places

Das neuere Genre der „ludic novels“ führt heute regelmäßig Bestsellerlisten an und begeistert eine millionenfache Leserinnenschaft.[14] An erster Stelle ist hier Ernest Clines Ready Player One (2011) zu nennen, ein 500 Seiten starker Roman, der 2018 von Steven Spielberg verfilmt worden ist. Die Handlung spielt in einer nahen Zukunft, in der die Erdoberfläche durch eine Klimakatastrophe fast unbewohnbar geworden ist. Die Menschheit verbringt deshalb die meiste Zeit in der virtuellen Welt OASIS, die ursprünglich als ein MMORPG (also ein massively multiplayer online role-playing game im Stil von World of Warcraft) entwickelt wurde, inzwischen aber große Teile der Realität ersetzt. OASIS bietet, im Gegensatz zur wirklichen Welt, eine stabile In-Game-Währung und immersive, haptisch erfahrbare Umgebungen, die eine alternative Lebenswelt simulieren. Der Schöpfer und Architekt dieser virtuellen Welt, James Donovan Halliday, hinterließ nach seinem Tod außerdem ein sogenanntes Easter Egg, dessen Finder den gesamten Konzern in Besitz nehmen kann. Die Jagd danach treibt die Handlung voran – während unzählige Anspielungen auf Pop- und Gaming-Kultur im Roman versprengt sind.

Das Genre der Ludic Novels speist zum einen also die digitalen Spielwelten in die narrativen Welten des Romans ein. Zum anderen lädt es dazu ein, die Romane selbst durchzuspielen: Auch die Lektüre ist an eine Leistungsaufforderung geknüpft, die in der Entdeckung versteckter Referenzen besteht. Aus ludologischer Perspektive mag Dichtung zwar ohnehin „im Spiel und als Spiel geboren“ sein, doch machen eine ganze Reihe neuer Romane – darunter  Cory Doctorows For the Win (2010),  Constantin Gillies’ Extraleben (2011) oder Matt Ruffs 88 Names (2020) – Ernst damit, voll und ganz und in ihrer „Spielzone“ verbleiben zu wollen.[15] Kaum von der Hand zu weisen ist dabei die Kritik, dass damit nolens volens ein mitunter toxisches, männlich-weißes Milieu adressiert und nebenbei auch der entsprechend fragwürdige Kanon reproduziert wird.[16]

Umso wichtiger, auf die Gegenbewegungen hinzuweisen: Gabrielle Zevins Roman Tomorrow and tomorrow and tomorrow (2022) bricht absichtsvoll mit den bestehenden Stereotypen der Gaming-Kultur und probt die Konfrontation mit deren toxischem Klientel. Im Mittelpunkt steht die Programmiererin Sadie Green, die gemeinsam mit ihren Jugendfreunden Sam Masur und Marx Watanabe das Entwicklerstudio Unfair Games gründet. Zevins Roman, vielfach preisgekrönt und von der New York Times zu den hundert besten Büchern des 21. Jahrhunderts gezählt, entfaltet dabei eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, die sich über Jahrzehnte erstreckt und das Gaming immer wieder in den Vordergrund stellt.

Die im Roman versammelten, fiktiven Videospiele fungieren dabei zumeist als digitale „cozy places“, als virtuelle Rückzugsorte aus einer Welt hegemonialer Vorurteile. Ihren größten Erfolg feiern die Entwickler dann mit dem Spiel Mapleworld, einer behaglichen Welt, die einen amerikanischen Vorort simuliert und in der – zum Unmut mancher Fans – die Homoehe schon frühzeitig legalisiert wird. Die virtuellen Welten dienen so als inklusive Gegenmodelle, gleichzeitig ermöglichen sie eine ungewöhnliche Form von Kritik an der Art und Weise, wie wir uns in der Welt eingerichtet haben. Gegen Ende des Romans diskutieren Sam und Sadie dann einmal die möglichen Vorzüge der Realität und eines geregelten Lebens, „where you sleep regular hours and you don’t spend every waking moment tormented by some imaginary world“. Doch wird die Idee sogleich verworfen: „I have a life now,“ Sadie said. „It’s not so great.“[17]

Sicherlich werden sich manche dieser Werke sowie der darin erfundenen Spiele als Rückkehr vertrauter Topoi entpuppen. Ebenso sicher aber ist auch, dass die Veränderung und Erweiterung des Romans und seiner Theorie durch die ästhetischen Verschiebungen, die das Videospiel mit sich bringt, von Dauer sein wird. Die „Möglichkeit des Romans“ jedenfalls, von der Blumenberg spricht, hat sich längst nicht erschöpft.

[1] Tonio Schachinger, Echtzeitalter. Hamburg; Rowohlt 2023.

[2] https://www.deutscher-buchpreis.de/news/eintrag/tonio-schachinger-erhaelt-den-deutschen-buchpreis-2023/

[3] Zur Konkurrenzstellung des „Second Life“ vgl. Astrid Ensslin/Eben Muse (Hrsg.), Creating Second Lives. Community, Identity and Spatiality as Constructions of the Virtual. London: Routledge 2011.

[4] Hans Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans. In: Ästhetische und metaphorologische Schriften. Frankfurt: Suhrkamp 2001.

[5] Juan S. Guse, Miami Punk. Frankfurt: Fischer 2019.

[6] Ein Videomitschnitt eines solchen starting build findet sich z.B. unter youtube.com/watch?v=VtFhlA7_5Pc.

[7] Von einem „glitch turn der deutschsprachigen Literatur“ spricht Juan S. Guse selbst. Damit ist ebenfalls ein Phänomen aus dem Bereich des Gaming bezeichnet, was in der Forschung auch zur Kenntnis genommen wird. Vgl. Janneke Meissner/Philipp Ohnesorge/Eckhard Schumacher/Jodok Trösch (Hrsg.), Bildbruch – Beobachtungen an Metaphern 5: Glitches, Frühjahr 2023.

[8] Philip K. Dick, Do Androids Dream of Electric Sheep? New York: Doubleday 1968.

[9] Vgl. Elias Kreuzmair, Die Zukunft der Gegenwart (Berlin, Miami). Über die Literatur der „digitalen Gesellschaft“. In: Hannes Bajohr/Annette Gilbert (Hrsg.), Digitale Literatur II. München: edition text + kritik 2021.

[10] Insofern zielt auch der Terminus „Midcult“ am Kern der Sache vorbei. Vgl. Moritz Baßler, Populärer Realismus. Vom International Style gegenwärtigen Erzählens. München: Beck 2022.

[11] Dîlan Canan Çakir/Anna Kinder/Sandra Richter, Computerspiele und Literatur. Schnittmengen, Unterschiede und offene Fragen. In: Digitale Literatur II.

[12] http://miamipunk-dasgame.de/

[13] Joshua Groß, Flexen in Miami. Berlin: Matthes &Seitz 2020.

[14] Dazu bereits John Kuehl, The Ludic Impulse in Recent American Fiction. In: Journal of Narrative Technique, Nr. 16/3, Herbst 1986.

[15] Vgl. Johan Huizinga, Homo Ludens. Versuch einer Bestimmung des Spielelements der Kultur [1940]. Übersetzt von Annette Wunschel. Paderborn: Brill Fink 2023.

[16] Vgl. Megan Amber Condis, Playing the Game of Literature. “Ready Player One”, the Ludic Novel, and the Geeky “Canon” of White Masculinity. In: Journal of Modern Literature, Nr. 39/2, Winter 2016.

[17] Gabrielle Zevin, Tomorrow and tomorrow and tomorrow. New York: Knopf 2022.