Frisuren vor Gericht

Nachdem das Oberlandesgericht München trotz der Anleitung des Bundesverfassungsgerichts es endlich geschafft hatte, alle Klarheit über die Zahl der journalistischen Plätze zu beseitigen, hoffte es darauf, Ruhe in den Gerichtssaal zu bekommen. Natürlich war es darauf gefasst, gleich zu Beginn Ablehnungsanträge einzufangen. Keiner der Fachjournalisten, die darüber im Fernsehen berichteten, schien zu wissen, dass die Verteidigung diese Anträge unverzüglich am ersten Prozesstag stellen muss, weil sie danach das Recht zur Rüge verliert. Es wurde ihr wie üblich als Prozessverschleppung vorgehalten und zwar von anderen Anwälten, die die Opfer vertreten. Die riefen schon seit langem nach einem kurzen Prozess und forderten gleichzeitig, alle Versäumnisse der Ermittlungsbehörden des Bundeskriminalamts, der Nachrichtendienste und aller verantwortlichen Politiker in die Details zu zerlegen – der Widerspruch blieb ihnen wohl verborgen.

Dann betrat die Hauptangeklagte den Saal. Wir kannten Beate Zschäpe bisher nur von den Fahndungsfotos. Da sah sie mit den streng zurück gekämmten Haaren und der Kassenbrille eher unvorteilhaft aus und natürlich wirkte sie missgelaunt wie jeder, der in der Haftanstalt zwangsweise fotografiert wird.

Nun tritt uns am ersten Prozesstag eine junge Frau entgegen, die man eher für ihre Anwältin halten sollte: Ein Businessanzug mit elegantem Schnitt, ein freundliches Lächeln, (Haftschalen?), Scherze mit den Kollegen und eine gepflegte Haarmähne, die offenbar auf die meisten Zuschauer und vor allem die Angehörigen der Opfer provozierend gewirkt haben muss. Es entstand ein Raunen und die Haartracht der Angeklagten war Gegenstand vieler journalistischer Kommentare. Das Gericht hatte den Gerichtssaal vor Beginn der Verhandlung umbauen lassen, damit die Opfer und ihre Anwälte den Angeklagten ins Gesicht sehen könnten. Das war ihr Wunsch gewesen. Die Angeklagte reagierte: Sie drehte ihnen den Rücken zu und war für sie nicht zu sprechen. Sie hat weder im Ermittlungsverfahren etwas ausgesagt noch wird sie voraussichtlich in der Hauptverhandlung reden. Das ist ihr gutes Recht und jeder Anwalt würde ihr nichts anderes empfehlen. Denn kein Mensch kann seine Worte – gesprochen oder geschrieben – so setzen, dass man sie nicht mit den vorhandenen Indizien so in Beziehung setzen kann, dass irgend eine Lüge dabei herauskommt. Mit Sprechen könnte sie ihre Lage nur verbessern, wenn sie uns über ein Geständnis erklären wollte, wie sie in das Umfeld der Attentäter gekommen und dort verblieben ist. Aber hier steht sie in einer offenkundig deutschen Tradition, die wir schon von den RAF Angeklagten kennen: Der Staat ist der Mörder und wer sich gegen ihn erhebt, handelt in Notwehr. Ulrike Meinhof war im Zuge des Prozesses aus dieser steinernen Haltung geglitten, hatte sich irgendwann die Haare (vielleicht selbst?) abgeschnitten und eine Art Hausmeisterkittel getragen, um so ihre Missachtung des Gerichts zum Ausdruck zu bringen. Als dann die Mitangeklagten ihr Verrat vorwarfen und das Band der Solidarität zerschnitten war, erschien sie überhaupt nicht mehr.

Gibt es eine Anzugsordnung vor Gericht? Können Angeklagte mit der richtigen Auswahl der Mode, in der sie auftreten, den Gang der Dinge beeinflussen? Sollte Udo Walz Zweigniederlassungen in Haftanstalten eröffnen?

Kurt Tucholsky hatte darauf eine Antwort. Er empfahl jedem Angeklagten, sich vor der Verhandlung einen militärischen Kurzhaarschnitt verpassen zu lassen, bei jeder Frage des Gerichts aufzuspringen und die Hacken zusammenzuschlagen, um in leicht demütiger Haltung die auf jede Frage zu antworten: »Jawoll Herr Präsident!«. Dies auch und bevorzugt beim einfachen Amtsrichter. Dabei sollten die Hände an die Hosennaht gelegt werden. Auf die entscheidende Frage, ob er die Tat gestehe, sollte unabhängig vom tatsächlichen Geschehen immer geantwortet werden: »Ich gestehe, was der Staatsanwalt mir vorwirft, bereue meine Tat, bitte um Strafe und zwar um eine gehörige solche!«

Ein solches Verhalten sei der einzige Weg zur Bewährungsstrafe oder anderen Formen der Strafmilderung.

Sie eignet sich aber offensichtlich nur für geständnisbereite Angeklagte. Dürfen diejenigen, die schweigen, als Ausgleich für ihre steinerne Haltung wenigstens die Haare herunterlassen? Wie die Reaktion des Publikums und der Presse zeigt, kann man nicht dazu raten. Schon gar nicht jemandem, der vielleicht unschuldig wäre. Wir kennen bis heute den Tatbeitrag nicht, der Beate Zschäpe an den Verbrechen der Gruppe zugerechnet werden kann. Mehrere Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zwingen uns in jedem einzelnen Fall zu individueller Beurteilung der Geschehnisse. Jemand, der eine Waffe besorgt hat, ist anders zu beurteilen, als ein anderer, der das Essen kochte und sauber gemacht hat. Jetzt, zu Beginn des Prozesses, kann niemand wissen, was das Endergebnis sein wird. Auch die Angeklagte weiß es nicht. Vermutlich wird nach der Revision auch das Verfassungsgericht wieder sprechen müssen. Die Angeklagte hat lange Jahre vor sich, in denen sie sich nach außen hin irgendwie verhalten muss. Ihr Business Anzug und die Körpersprache mit dem Rücken zur Öffentlichkeit sagen uns, dass sie ihre Rechte kennt und von ihnen auf professionelle Weise Gebrauch machen wird. Nur die Haare sprechen dagegen.

Benno Heussen (Wikipedia) ist Anwalt, Honorarprofessor in Hannover und Autor des Merkur