Pour Rainald Goetz
Es könnten durchaus 300 Croissants sein, die ich mittlerweile bei Pierre Hermé gegessen habe. Anlass ist der Besuch im V. und VI. Arrondissement. Dort ist die Uni, also Arbeit. Man muss es sich schön machen, weil diese Pariser Stadtteile nicht schön sind. Man sieht vor allem Studenten, Reiche und Alte. Es ist die Zone der schiefgegangenen Schönheitsoperationen. Nur manchmal, wenn ich am Panthéon vorbeigehe, bin ich eingeschüchtert und muss lächeln. Das Panthéon will natürlich einschüchtern, schließlich werden dort diejenigen aufgebahrt, denen die wohl einzige Unsterblichkeit, die Sinn macht, beschieden ist, die republikanische nämlich. Rousseau wusste, dass es eine Zivilreligion braucht, Robespierre träumte gleich vom „culte de l’Être suprême“. Bevölkert wird der republikanische Himmel überwiegend von Männern. Dieser Olymp ist ein ziemlicher Sackhaarberg.
Sonst wüsste ich aber nicht, warum man sich im V. oder VI. Arrondissement aufhalten sollte. Nur manchmal kommt Tilman Krause von der Welt und ist traurig, dass Paris auch nicht mehr das ist, was es mal war. Noch immer gibt es viele Leute aus der Modebranche, die englischen Zeitungen ihr Paris zeigen wollen und den Lesern empfehlen, unbedingt ins Café de Flore oder ins danebenliegende Les Deux Magots zu gehen. Diesen Leuten sage ich: Ich will Euch nicht pathologisieren, aber ihr seid krank.
Es geht dabei nicht um irgendein Buttergebäck, sondern um das Croissant Isphahan. Kostet 2,10 EUR. Innen ist es mit Himbeermarmelade und Rosenwasser gefüllt, außen mit einer dünnen Schicht Zitronenguss überzogen. Nicht ein einziges Mal war ich davon enttäuscht. Es macht den Tag, egal welchen, immer besser. Nur weil in der Mitte Flüssiges winkt, heißt das noch lange nicht, dass man davon überrascht werden will, wie das zum Beispiel bei Likörpralinen der schlechte Fall ist. Nein. Es geht um Übergänge: von der Knusperschicht rein in den Teig, der zu etwas unsagbar Weichem aufgebacken wurde. Die Füllung macht dann bruchlos einfach da weiter, wo der Teig aufhört. Intensive Variationen des einen Weltstoffs: das pure Glück der Immanenz.
Noch muss ich allerdings warten. Zwei Damen sind vor mir dran. Die eine lässt sich die 20er Dose mit Macarons füllen. Macht dann 60 Euro bitte. Ich denke an Bertolt Brecht, den Lars Ricken unter den deutschen Patissiers. „Was ist das Klauen von Macarons gegen das Backen von Macarons?“ Die zweite Dame hatte eine Vorbestellung. Die fleißigen Assistenten verschwinden kurz ins Hinterzimmer und kommen mit einer ca. 1 Meter langen und breiten afrikanischen Maske aus dunkler Schokolade zurück. „Je l’ai vu au Musée Quai Branly.“ Die ethnologischen Sammlungen dort hätten es ihr einfach angetan. Wo der Museumsbesuch war, soll Schokolade werden. 800 Euro kostet das gute Stück. Wie kalkuliert man denn so einen Preis? Zutaten und savoir-faire, Alter. Zutaten und savoir-faire.
So will ich auch mal reich sein. Ein-Mann-Konjunkturpaket. Weg mit den Aktien, Immobilien und dem ganzen anderen Rent-Seeking-Scheiß und rein in die Investitionen, die sich durch Verzehr amortisieren.
Unbedingt angucken: die Michel-Leiris-Ausstellung im Pompidou Metz. Der hat sich sein perfektes Gastmahl so vorgestellt:
Pastis aux pistaches ;
Avocat à la vodka (ou Soupe aux pousses, potage où patauger) ;
Saumon en monceau (ou Quenelles à la canelle) ;
Steak tchèque (ou Rôt de rat au riz, mets maori) ;
Sorbet serbe ;
Marcassin au marasquin (ou Beau veau) :
Champignons au Champagne (ou Crêpes aux cèpes) ;
Forts fromages de fermage ;
Pure purée de poires purpurines ;
Raisins rincés ;
Café fécal ;
Liqueurs reliques.
10 ou 20 vins divins.
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