Ein paar ehrliche Anmerkungen zur Sexismusdebatte

Mein Studium am DLL begann ich wie Anke Stelling, die hier ebenfalls mit einem Beitrag vertreten ist, im Jahr 1997. Da war ich 32, also nicht mehr ganz jung. Es gab allerdings mehrere Studierende (mehr Männer als Frauen), die älter waren als ich, und einige im gleichen Alter. Nur zwei Studierende (w) kamen direkt von der Schule. Die meisten waren um die fünf Jahre jünger als ich. Fünf Jahre, das ist in diesem Zusammenhang viel.

Als ich in Leipzig jene – na ja, Sachverhalte mitbekam, die Anke Stelling mit “sich durch den Lehrkörper vögeln” beschreibt, dachte ich: Wie kann man nur so leichtfertig seine künstlerische und allgemeine Autonomie aufs Spiel setzen für so einen Professor/Dozenten. Dass es auch einseitige Machtverhältnisse waren, die da mitspielten, war mir zwar bewusst, aber ich dachte damals durchaus, dass man als Frau die Zügel auch selbst in der Hand haben kann. Das war natürlich auch die Arroganz des – na ja, Alters, die mich so denken ließ.

Ich war in den frühen 80-er Jahren mit einer Frauenbewegung in Berührung gekommen, die, so mein Eindruck jetzt, radikaler, direkter, lauter und insgesamt sichtbarer war, als sie es jetzt ist. Ich war nicht wirklich aktiv gewesen, aber abgefärbt hatte diese Frauenbewegung auf jede Frau in meiner Generation. Es gab durchaus eine Zeit, in der wir uns zumindest verbal wehren konnten gegen Sexismus. Dass das nicht viel ist, weiß ich schon lange. Ich lebte für kurze Zeit in besetzten Häusern in Berlin, wo Männer kurzerhand aus der Plenumssitzung geworfen wurden, wenn sie etwas sagten, was einer der Frauen missfiel. Da wurde sehr oft nicht lang gefackelt. Da gab es auch Schimpfwörter. Der Umgangston war rau, es war eine harte Zeit, ich hatte verinnerlicht, jedem Mann erst mal mit einer gewissen Ruppigkeit zu begegnen – was mich zig Jahre später am DLL vor dieser einen Form des Sexismus bestimmt schützte. Die jüngeren Studierenden hatten diese Erfahrungen mit diesem Feminismus nicht mehr machen können, die Zeiten änderten sich zu schnell.

Aber es gab ja am DLL (und anderswo) auch diese ganz anderen, subtileren Formen des Sexismus, und die Zeiten, dass man als Frau lauthals dagegen protestierte, waren definitiv vorbei. Das Klischee der Feministin mit lila Latzhose und Trillerpfeife war am DLL ein Feindbild, das auch in Texten vorkam, auch in solchen von jüngeren Frauen. Die Feministinnen mit ihrem kämpferischen Feminismus waren total aus der Mode gekommen, sie galten als so uncool wie die Punks am Hauptbahnhof, die noch vor fünfzehn Jahren megacool gewesen waren. Überall war Mäßigung. Überall war Zurückhaltung. Die Frauen in der Literatur trugen knielange Röcke und schicke Lederstiefel und argumentierten, wenn überhaupt, dann überlegt oder ironisch. Kam das, weil wir uns in einem akademischen Betrieb befanden, wo es als nicht (mehr) schicklich galt (oft auch aus guten Gründen), seinen Protest laut in den Raum zu plärren? Oder war eben die Zeit einfach so? Ich glaube, beides trifft zu.

Das DLL war nie ein rein künstlerischer Studiengang, es war immer schon ein Ableger der Universität mit einem Katalog rückständiger akademischer Codes, den auch Frauen schnell verinnerlichten. Ich verstand damals nicht, dass ich vierfach stigmatisiert war: 1. als Frau, 2. als nicht mehr ganz junge Frau, 3. (später) als Mutter, und 4., über allem stehend, als Frau ohne Bildungshintergrund. Der akademische Sexismus ist auch einer, der Frauen nach ihrer Herkunft und Bildung für seine jeweiligen Bedürfnisse sortiert.

Und wenn ich jetzt sehr subjektiv und vielleicht ungerecht sage, dass ich am DLL zusah, und eben nur: zusah,

  • wie die, die sich durch den Lehrkörper vögelten, ihre Einser-Abschlüsse machten und ich nur eine dreinull bekam
  • wie eine Studentin direkt im Anschluss an ihre Diplomprüfung zum Sektempfang lud und die Professoren selbstverständlich dabei waren, während ich ein wenig abseits stand, weil ich nur zufällig an dem Tag im DLL war, und nicht mittrinken durfte
  • wie die fleißige Juristin, die verquere Metaphern benutzte und unmusikalische Sätze schrieb, trotzdem hofiert wurde und in ihren Texten ernst genommen
  • wie die Studentinnen, die keine Kinder hatten (und ich war lange Zeit die einzige, die welche hatte), immer über alles viel besser informiert waren als ich und schneller ihre Abschlüsse machten und laufend Texte in Literaturzeitschriften hatten
  • wie Dozenten und Professoren die Texte junger weiblicher Studierender sehr oft sehr gut fanden, obwohl ich sie total misslungen fand
  • wie es mich Überwindung kostete, mich kritisch gegenüber Texten jüngerer Frauen zu äußern, weil ich mich ständig fragte, ob meine Kritik nicht doch frauenfeindlich war
  • wie mir ein Gastdozent während der Zwischenprüfung sagte, ich solle nicht so viel mit den Händen reden, im Tanz mache man das vielleicht, aber nicht an der Universität
  • wie wir mit den Augen rollten, wenn die älteste Studierende, mit einer sogenannten DDR-Vergangenheit, die auch Haft beinhaltete, sich zu Wort meldete, weil wir es uncool und anstrengend fanden
  • wie auf die Initiative einer Studentin hin die Professoren einer sehr jungen Frau nahelegten, das DLL-Studium abzubrechen – sie schrieb Fantasy-Geschichten, und ein paar Studierende, allen voran die eine weibliche Studierende, fühlten sich davon belästigt, diese “naiven Mädchengeschichten” in den Seminaren besprechen zu müssen
  • uvm.

da fühle ich schon wieder Angst aufsteigen, das alles einmal so ehrlich zu sagen. Nicht nur, dass es gegen mich verwendet werden könnte; ich sei weinerlich, egoistisch, ungerecht, neidisch, unsolidarisch, unreflektiert, dumm – diese Meinungen werden jetzt garantiert auch kommen, vielleicht nicht unbedingt öffentlich geäußert. Und sie werden nicht nur von Männern kommen.

Angst habe ich auch deswegen, weil ich selber Angst vor meiner eigenen Meinung habe und denke, sie habe vielleicht schon ganz schön häufig und unreflektiert männliche Sichtweisen übernommen. Sie sei unqualifiziert, weil ich selber unqualifiziert bin. Sie sei dumm, weil ich selber eben doch dumm bin. Undsoweiter.

Was noch: Als ich die Texte im Merkur zur Sexismus-Debatte las, fand ich, bei aller generellen Zustimmung, dass sie ein bisschen zu brav waren. Auch meinen Text finde ich zu brav. Unsere Texte sagen alles wichtige, aber wenn ich es einmal wirklich ganz ehrlich und ungefiltert sagen darf, sind sie zu gemäßigt. Sie stellen doch nur wieder eine Art der diskursiven Abhandlung aus, von der ich weiß, dass sie zumindest am DLL genauso von den Männern und irgendwie auch von Frauen, die das in langer Tradition übernommen haben, gelehrt wird. Sag was, aber beleg es immer schön mit Zitaten, oder sag es auf eine irgendwie gelehrte Weise, sag es, aber sag es diplomatisch, und gut soll es auch noch klingen. Niemand, auch ich nicht, schreibt “fuck ich halt das so nicht mehr aus”. Niemand schreibt “es ist so krass, so kanns nicht weitergehen”. Niemand schreibt “es kotzt mich einfach nur noch an, stop it, lasst uns jetzt sofort die Professoren rauswerfen” oder sowas in der Art, wie wir es vielleicht in den 80-er-Jahren geschrieben hätten, wo es ja auch Parolen gab wie “Schwanz ab”. Nicht, dass ich für die Durchsetzung dieser und so einiger anderer Parolen jemals wäre. Ich merke nur, die Dringlichkeit der Angelegenheit, die müssen wir vielleicht noch stärker vermitteln.

Und nochmal: uvm.

Martina Hefter, geb. 1965 in Pfronten/Allgäu, lebt als Autorin und Performancekünstlerin in Leipzig.

 

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