Der Flachsweg

Bauern leben im Offenen, und die Landschaften, die sie bewohnen und bearbeiten, sind Wetterwelten. Dies gilt umso mehr für die norddeutsche Küste, wo das Land flach, der Wind stark und die Felder von Gräben durchzogen sind, um die Entwässerung zu gewährleisten. Für den Bauern ist das Wetter immer eine wechselhafte Angelegenheit, und meistens ist es nicht so, wie man es gerade gerne hätte. Der Klimawandel macht die Sache nicht einfacher.

(Dieser Text ist im Märzheft 2023, Merkur # 885, erschienen.)

Es braucht wetterfeste Infrastrukturen, um einen Hof, ein Dorf, eine Lebensweise zu erhalten und fortzuführen. Die Felder müssen be- und entwässert werden, man benötigt Strom für die Elektrizität und Wege für den Transport. Noch heute erzählen die Leute von der Schneekatastrophe in Norddeutschland im Winter 1978/79, als die Bauern die Milch nicht mehr abtransportieren konnten, weil die Wege zugeschneit waren.

Mit dem Klimawandel werden Wetterextreme häufiger, und die Infrastrukturen müssen sich dem anpassen. Ein Beispiel dafür ist der Flachsweg, eine kleine Straße in einem Dorf in Niedersachsen, nicht weit von der Küste, auf der Geest gelegen. Der Flachsweg führt am Eekenhof vorbei, wo ich im Winter 2017/18 und im darauffolgenden Sommer wohnte, als ich dort als Ethnologe über die Wahrnehmung des Klimawandels und den Umgang damit forschte. Der Wettergott meinte es gut mit mir, auch wenn das zynisch klingt, denn er schickte erst einen ungewöhnlich warmen, nassen und dunklen Winter und danach eine Dürre, die den ganzen Sommer über währte. Diese Wetterextreme erforderten es, das komplexe System der Infrastruktur, die den Hof am Laufen hält, den Veränderungen anzupassen.

Büppel ist ein Dorf, das sich immer mehr zu einem Vorort der Gemeinde Varel entwickelt. Die Flächennutzung hat sich stark verändert, die meisten landwirtschaftlichen Flächen wurden in Bauland umgewandelt. Aber am Dorfrand gibt es noch einen Bauernhof aus dem 18. Jahrhundert, den Eekenhof, der seinen Namen von den Eichen hat, die entlang des Flachswegs stehen. Auf einem alten Foto ist der Großvater des heutigen Besitzers hoch zu Ross vor seinem Hof zu sehen. Man brauchte Pferde, um den Flachs, der einst die wichtigste Kulturpflanze in der Gegend war, zu ernten, zu verarbeiten und zu vermarkten. Der Feldweg verband Haus, Land und Markt. Flachs diente zur Herstellung von Öl oder Leinen und war eine Einnahmequelle auf den kargen Böden der Geest. Die Zeiten haben sich geändert, Flachs wird heute hauptsächlich in China und anderen Teilen Europas produziert, aber der alte Feldweg hat bis heute seinen Namen behalten.

 

(…)


Möchten Sie weiterlesen?

Testen Sie 3 Monate MERKUR digital für nur 9,90 €.

Text im Digital-Archiv lesen / downloaden.