Post-Scriptum zur Wissenschaftsfreiheit (1. Juli 2024)

Liebes Netzwerk Wisssenschaftsfreiheit,

erst einmal meinen Dank, dass sich so viele – und zwar auch ehemalige –  Mitglieder Ihres „Netzwerks“ an der von mir mit Martin Zillinger (Köln) initiierten und betreuten „Offenen Stellungnahme“ an unsere Bundesbildungsministerin beteiligt haben, darunter auch mein Siegener Kollege Prof. Dieter Schönecker.

Leider hat Prof. Schönecker dieser einvernehmlichen Aktion einen Kommentar zur Seite gestellt, den Sie als „Blog“ veröffentlicht haben. Dieser Blog dient anscheinend einer Art Abreaktion des Autors, der sich bereits mit einer entsprechenden Invektive bei mir gemeldet hatte, und enthält eine Reihe sachlicher Fehler und Ungenauigkeiten.

Prof. Schönecker schreibt:

„Zu den Unterzeichnern (und mutmaßlich auch Initiatoren) gehören Erhard Schüttpelz und Robin Celikates. Auf sie und ganz bestimmt viele andere Unterzeichner der Stellungnahme trifft folgendes zu: Sie berufen sich auf das grundgesetzlich verankerte Recht auf Wissenschaftsfreiheit, das sie aber nicht nur nicht verteidigen, wenn es um Wissenschaftler geht, die sie für irgendwie rechts halten (oder für rassistisch, islamophob, transphob, you name it), sondern das sie mit Füßen treten, wenn es ihnen in den politischen Kram passt. Schüttpelz war an vorderster Front, als er mein Recht darauf, Sarrazin, Jongen, Flaig und Bolz zu Vorträgen einzuladen, beschnitten sehen wollte (etwa durch seine Aufforderung an den Rektor, die Veranstaltung zu verbieten)“

Diese Aussagen sind nach dem ersten Satz nicht nur ungenau, sondern falsch. Ich habe nicht die Absicht, sie im einzelnen zu widerlegen, denn dazu müssten sie erst einmal substantiiert werden. Das hat Prof. Schönecker wohlweislich unterlassen. Insbesondere gilt:

– Ich habe seinerzeit keine „Aufforderung an den Rektor“ gestellt, „die Veranstaltung zu verbieten.“ Die Freiheit, die geplante Verstanstaltung, also das betreffende Seminar, aber auch die Einladungen durchzuführen, habe ich niemals bestritten.
– Ich habe Prof. Schöneckers „Recht darauf, Sarrazin, Jongen, Flaig und Bolz einzuladen“, weder beschnitten noch beschnitten sehen wollen.

Bei dieser Gelegenheit darf ich Sie darauf hinweisen, daß ich – anders als mein Siegener Kollege – nicht nur keine Inkonsistenz zwischen meinen jetzigen und den seinerzeitigen Äußerungen und Handlungsweisen erkennnen kann, sondern im Gegenteil bei einem Nachlesen über die Konsistenz meiner damaligen und heutigen  Positionen – auch wenn der Anlass dieser Feststellung alles andere als erfreulich ist – mehr als erfreut bin. Die Gründe dafür können Sie jederzeit nachlesen unter:

https://www.merkur-zeitschrift.de/2019/12/02/wissenschaftsfreiheit-und-meinungsfreiheit-aus-anlass-einer-siegener-kontroverse/

Dort schreibe ich u.a.:

„Wissenschaft und Politik sind zwei Bereiche unserer Gesellschaften, und vielleicht sogar zwei „Funktionssysteme“, aber sie überschneiden sich auch, schließlich gibt es Forschungspolitik und Hochschulpolitik, es gibt die staatliche und somit politische Verantwortung für die Finanzierung und rechtliche Stellung der Universitäten und ihrer Angehörigen. Ja, sogar die Garantie der Unabhängigkeit der universitären Wissenschaft von Eingriffen des Staates und anderen Eingriffen von außen ist eine staatliche Aufgabe. Das sagt unsere Verfassung, zumindest in ihren von Verfassungsjuristen festgestellten Konsequenzen zum Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes. Wissenschaft und Politik sind daher getrennt, aber dafür müssen auch die Politik und der Staat selbst sorgen. Um es noch einmal zuzuspitzen: Der Staat muss dafür sorgen, dass der Staat die Wissenschaft vor nicht-wissenschaftlichen Abhängigkeiten und vor sich selbst, also vor dem Staat und vor anderen politischen Bestrebungen schützt. Das scheint Herr Lindner nicht verstanden zu haben, wenn er sich vor ein Gebäude der Universität Hamburg stellt und dort Rederecht fordert, nur weil er Politiker ist und glaubt, als Politiker dürfe er überall politische Ansprachen halten. Er sollte lieber einsehen, dass es seine Aufgabe, und gerade die Aufgabe eines Liberalen ist, die Universität vor genau solchen Forderungen zu schützen, und anderen klarzumachen, dass es keinen nicht-wissenschaftlichen Anspruch auf Repräsentation an einer Universität geben kann. Das wäre zumindest die klassische liberale Position. Politische Forderungen nach einer politischen Repräsentation, die an der Universität genauso ausfallen müsse wie außerhalb, sind mit der Wissenschaftsfreiheit nicht vereinbar, und zwar deshalb, weil sie auf eine Abhängigkeit wissenschaftlicher Veranstaltungen von außerwissenschaftlichen Forderungen hinauslaufen würden, also genau jener Zerstörung der Autonomie vorarbeiten, vor der unser Staat laut Verfassung die Wissenschaft schützen soll.“

Ich wiederhole: „Der Staat muss dafür sorgen, dass der Staat die Wissenschaft vor nicht-wissenschaftlichen Abhängigkeiten und vor sich selbst, also vor dem Staat und vor anderen politischen Bestrebungen schützt.“ Das war der entscheidende Punkt der seinerzeitigen Siegener Kontroverse, und er ist es auch heute in durchaus verwandter Weise in unserer Auseinandersetzung zur Wissenschaftsfreiheit. Und er wird von angeblich „liberalen“ Politikerinnen wie unserer Bundesbildungsministerin – und er wurde leider auch von Prof. Schönecker in seiner damaligen, nicht zu Ende gedachten und  in diesem Sinne schlicht unreflektierten Lust am Provozieren – nicht verstanden.

Si tacuisses…? Si tacuisses.

Mit verbindlichen Grüssen,

Ihr Erhard Schüttpelz