• Ein Bericht aus dem Goethe-Instituts-Universum: Die Kulturförderung und der Tod in Südindien, bei gleichzeitiger zen-mäßiger Ruhe in Kyoto

    Von Robin Detje, mit einem Chat mit und einem Nachtrag von Jakob Nolte Das Goethe-Institut hat uns auf eine Künstlerresidenz eingeladen, die Gruppe bösediva, und am zweiten Tag wäre ich fast ums Leben gekommen. Das war in diesem Frühjahr in Südindien, in Bangalore. Wir saßen auf der Terrasse unserer Unterkunft, mit schwerem Jet-lag bei 38 Grad im Schatten, und zwei Zentimeter neben mir donnerte eine Kokosnuss auf den Steinboden. Unser Gastgeber hatte das Krachen drinnen gehört, warf einen Blick hinaus, sah, dass alle noch lebten, und war zufrieden. Zur Täterpalme hatte ich nach dem Vorfall ein gutes Verhältnis. Ihre Botschaft war: Ich hätte dich umbringen können, aber ich habe es nicht getan. Der Respekt war beiderseitig. In Indien gilt der Tod durch Kokosnuss außerdem als besonders ehrenvoll. Man überspringt zwei Reinkarnationsstufen. Ich hatte im Grunde also Pech.

    ---

    Das Netz der Goethe-Residenzen ist weit gespannt. Da kann man viel und sehr Verschiedenes erleben. Als wir in Bangalore waren, war Jakob Nolte gerade in Kyoto. Ein Facebookchat:

    Hallo Jakob, wie läufts bei Dir? Unser Goethechef sagt, unsere Residenz sei sowas wie der Gegenentwurf zu Deiner Residenz. Dann ist es bei Dir bestimmt ganz gepflegt und elegant und ihr sitzt immer mit einem Cognacschwenker am Kamin?

    Ja. Es ist krass aufgeräumt. Fein und ruhig und die Milane fliegen so über den Kamo Fluss und die Sonne geht immer auf und unter und die Berge mit den Bäumen sind verschiedenartig grün. Ab und an gibt es wilde Bierräusche in Kellerklubs, dann aber sofort wieder Tempel und Fahrradfahren zum Besinnen. Ich finde es herrlich. Die Arbeit und das Grübeln gehen voran. Kyoto kommt einer Stadt, in der es sich zu leben lohnen könnte, erstaunlich nah. Auch die Snacks sind Bombe. Ende Mai werden wir nochmal für ein paar Wochen durchs Land fahren.

    Und bei Dir? Wie ist es im Residenzlife?

    Hier ist es auch super, aber eben wüst und wild und schmutzig und man muss schon ganz schön strampeln, um zu sehen, dass man klar kommt. Mehr so: einfach ins Wasser springen und nicht drüber nachdenken, was da alles drin schwimmt. Die residents sind über die ganze Stadt verteilt, wir haben großes Glück und sind in einer Galerie, in der wir auch arbeiten und dann etwas zeigen werden, und werden hier bekocht und unterstützt. Wir haben also einen Rückzugsraum, aber Rückzugsraum ist hier sehr relativ: Der Wahnsinn tobt, der Verkehr rast, um die Ecke eine Dorfstraße mit Kühen und Ziegen und Müllhaufen. Lebendig über die Straße kommen ist schon eine Herausforderung. Hier läuft man irgendwann einfach in den Verkehr und überlebt trotzdem, aus Gründen, die ich noch nicht ganz verstehe. Man kann aber auch auf dem Dach sitzen und auf die Riesenflughunde warten, die gegen 19 h angesegelt kommen.

    ---

    Kultur und Tod sind natürlich ein großes Thema. Kulturförderung und Todesnähe. Oder: Kulturförderung durch Todesnähe.

    In Bangalore ist das nackteste Verkehrsmittel das ehrlichste: die Autorikscha, das auto, anderswo als Tuk Tuk bekannt, ein Dreirad mit Rasenmähermotor und Rückbank, überdacht. Keine Fensterscheiben, keine Airbags, kein Seitenaufprallschutz. Gar kein Schutz. Hinten haben drei dünne Menschen Platz, es quetschen sich aber auch ganze Großfamilien hinein, mit Gepäck. Beliebt sind auch mit Gasflaschen vollgepackte Rikschas, knatternde Bomben. Unter den Fahrern gibt es kleine Gauner, aggressive Betrüger, ganz liebe Menschen und große Künstler, die mit ihrer Eleganz den ganzen Verkehrsstrudel zu einer Art Tanzvergnügen machen. Wenn der Verkehr in Bangalore fließt, verflüssigt er sich, wie ein Fischschwarm. Mitschwimmen ist ein großes Glückserlebnis. Es gibt Verkehrsunfälle: Ein Bus walzt über eine Großfamilie in einer Rikscha. Alle in der Rikscha sind sofort sehr tot. – Andere Unfälle: Einem Rikschafahrer gefällt nicht, dass sein Fahrgast, eine moderne junge Inderin, ein kurzes Kleid trägt, und er beschimpft sie. Sie nimmt alles mit dem Handy auf und es gibt einen großen Skandal. Beide Seiten erhalten viel Unterstützung. – Ein Kleinwagen wagt es, einen blitzenden SUV zu überholen. Darauf überholt der SUV-Fahrer den Kleinwagen, drängt ihn ab und erschießt den Fahrer. Der SUV-Fahrer ist der Sohn eines wichtigen Politikers. So wird es berichtet. Einmal stehen wir in der Rikscha hinter einem Wassertankwagen im Stau. In der Rikscha neben uns sitzt ein junger Europäer oder Amerikaner mit langen blonden lockigen Haaren. Er ist für einen Abend zum Kiffen am Strand von Goa angezogen, locker-luftig (lesen ...)
  • „Mein Interesse am Hermannplatz ist gering“

    Jakob Nolte im Gespräch mit Wolfgang Hottner über seinen Roman ALFF, Teenager, Bücher und das Großwerden in aufgelösten Formen. *** Die Schüler der High & Low Highschool in Beetaville in Neuengland haben Angst. Einer ihrer Mitschüler wurde von dem sogenannten „Vollstricker“ grausam ermordet. Agent Donna wird vom FBI geschickt, um den Fall zu lösen und Meggy von der Schülerzeitung versucht sich als Privatdetektivin. Zudem gibt es eine „Anachronistische Jugend Beetaville e.V.“, eine Band die „La Deutsche Vita“ heißt und die Olympischen Spiele in Atlanta finden statt: die 90er, das „Genick am Rand des Jahrtausends“. Jakob Noltes Romandebüt ALFF (Fiktion, 2014 / Matthes & Seitz Berlin, 2015) erzählt im Stile eines Highschool-Thrillers von dieser gespenstischen Zeit, von den deutsch-amerikanischen Verwirrungen einer Jugend an der Peripherie des alten Jahrtausends. (mehr …)