Januar 16, 2019 - 1 Kommentar
I
In Serotonin lässt Michel Houellebecq altbekannte europäische Dämonen aufmarschieren: einen deutschen Pädophilen, Kochsendungen, Holländer, Technokratenpaare im Nudistendorf, Thomas Mann, eine Japanerin, die Hunde “lutscht”, Tierärztinnen, die Ich-Erzähler lutschen, verzweifelte Bauern, die ihre Schrotflinten lutschen, Ex-Bauernfrauen, die nun Pianisten lutschen, Praktikanten, Macron, Alkoholiker. Freilich bildet das nicht die allererste Garnitur europäischer Dämonen, und würde gerade deswegen, eigentlich, hypothetisch, allerbesten Erzählstoff bieten. Keine Philologen, kein prekarisiertes Lumpenprofessoriat wie in Unterwerfung. Houellebecq gibt – und das ist ein Novum – den kulturellen Europhilen: Der deutsche Kinderschänder nennt sein zehnjähriges Opfer bei der Fellatio “Mein Liebchen”, und zwar auf Deutsch im französischen Originaltext. “Noch nie hat Michel Houellebecq so ernsthaft und voller Emotion über die Liebe geschrieben”, verspricht uns der Klappentext. (mehr …)
Januar 26, 2015 - 6 Kommentare
Agathe Novak-Lechevalier ist maître de conférences (in etwa: Assistenzprofessorin) an der Université Paris X Nanterre. Sie ist Chefredakteurin des Magasin du XIXe sciècle, ihre Interessen umfassen dabei Roman und Spektakel, außerdem beforscht sie Stendhal und Balzac. Aus diesem sauber kuratierten Portfolio fallen ihre Arbeiten zu Michel Houellebecq etwas heraus.
Dieser Forscherpersönlichkeit dankt der Autor am Ende seines neuesten Romans Unterwerfung, der im Jahr 2022 spielt und von den Problemen eines abgehalfterten Literaturwissenschaftlers in einem Frankreich unter islamischer Regierung handelt. Direkt am Erscheinungstag wurde Unterwerfung (deutsch für: Islam) auf eine Art notorisch, die zu wiederholen hier überflüssig ist. Von dem Terror-Anschlag auf Charlie Hebdo ist Houellebecq nicht nur persönlich hart getroffen worden, sondern er durchkreuzt auch das Anliegen seines Romans. Worin dieses besteht, wird in dem kurzen Paratext auf der letzten Seite deutlich. Hier liegt gewissermaßen das punctum des ganzen Buches, die Danksagung legt offen, was die Bedingung der Möglichkeit dieses Romans ist: nämlich dass das, was er beschreibt, eine unrealisierte Fiktion bleibt. Damit ist viel weniger eine wie auch immer geartete Islamisierung gemeint, sondern ein ästhetisches Programm. Davon sprechen wir hier.
In Unterwerfung werden Frauen aus dem akademischen Leben herausgeschrieben. Mit Agathe Novak-Lechevalier wird aber nun eine Frau angeblich als einzige Quelle für alle Informationen zuständig, die Houellebecq für seine Schilderung des akademischen Lebens braucht. Es ist nicht so wichtig, ob das stimmt oder nicht: Deutlich wird, dass hier von einer Literatur die Rede ist, die allein auf Hörensagen beruhen darf, die sich aus abgefrühstückten Ideen und Phrasen zusammensetzen darf, wenn sie nur einen bestimmten Zweck erfüllt. Und der besteht hier primär in der Besetzung einer literaturhistorischen Position und nur sekundär in Houellebecqs lange bekannter Opposition gegen den Islam. (mehr …)
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