Erwiderung auf Martin Sabrow

Am 4. Oktober hat an dieser Stelle der Historiker Martin Sabrow auf meinen Text aus dem September-Heft des Merkur geantwortet („Erfurt zum Beispiel. Zur Frage der Straßennamen“). Ich möchte meiner Erwiderung zwei Bemerkungen voranstellen.

Die erste: Ich freue mich über den Beitrag. Wie in meinem Text erwähnt, sind Straßennamen „banale Objekte“ (Maoz Azaryahu), und das sind sie erst recht im öffentlichen Diskurs. Diskussionen finden zumeist lokal statt, an Systematisierung mangelt es, eine größere Debatte in der Sache ist folglich begrüßenswert. Was mich zu meiner zweiten Vorbemerkung führt: Mich wundert an manchen Stellen Sabrows Wortwahl.

Zum einen wird meine sachliche Kritik an einer – für die Abwehr von Umbenennungsdebatten exemplarischen – Äußerung des Historikers Hanno Hochmuth unnötig emotionalisiert. Mein Text bringt keinen „Zorn“ auf Hochmuth zum Ausdruck, und wenn ich mit Blick auf seine Veröffentlichungen die fehlende Expertise zum nämlichen Thema bezweifele, ist das in meinen Augen auch keine „argumentatio ad personam“. Denn wo sollte die Spezialisierung eines Mannes aus der akademischen Forschung, die ihn im Falle des zitierten Interviews erst zum gefragten Ansprechpartner für Medien macht, ablesbar sein, wenn nicht an dessen Publikationsliste? Nun könnte man einwenden, dass ich Hochmuths Dissertation unterschlagen habe, auf die Sabrow verweist, weil die von den Berliner Stadtteilen Friedrichshain und Kreuzberg handelt und das besagte Interview über einen Umbenennungsvorschlag des sogenannten Generalszugs in Kreuzberg. Wer aber Hochmuths „Kiezgeschichte“ [1. Hanno Hochmuth, Kiezgeschichte. Friedrichshain und Kreuzberg im geteilten Berlin. Göttingen: Wallstein 2017.] gelesen hat, wird mir wohl beipflichten, dass der Gegenstand dieser Dissertation („die verschiedenen Ausformungen und Aneignungen von Öffentlichkeit und Privatheit“ bzw. „multiple Modernen“ [1. ebd., S. 344.]) ein anderer ist als Erinnerungspolitik. Um Straßennamen geht es allenfalls am Rande, knappe Informationen zu Benennungsgeschichten haben eher anekdotischen Charakter. Der „Generalszug“ findet dort, wenn ich nichts übersehen habe, nur kursorisch Erwähnung (in Zusammenhang mit dem sogenannten Hobrecht-Plan). [1. ebd., S. 51.] Dass meine Kritik einer spezifischen Äußerung Hochmuths die „Geschichtskulturforschung insgesamt“ beträfe, wie Sabrow schreibt, ist schon deshalb abwegig, weil ich mich auf mehrere Fachleute aus dem Feld positiv beziehe.

Zum anderen argumentiert Sabrow mit Begriffen wie „gesäubert“ und „Ausmerzung“, die angesichts des Gegenstands der Debatte doch unangemessen scheinen. Straßenumbenennungen gehören zum alltäglichen Verwaltungshandeln. Wollte man, um in der Nähe des von mir gewählten Beispiels Erfurt zu bleiben, die Eingemeindung Henschlebens zu Straußfurt am 1. Januar 2020, die eine Umbenennung der Straße des Friedens im Henschlebener Ortsteil Vehra notwendig machte – weil in Straußfurt bereits eine Straße gleichen Namens existierte und die „Dopplung nicht nur Postboten verwirren“ [1. Annett Kletzke: Eingemeindung Henschleben birgt kleine und große Hürden, in: https://www.thueringer-allgemeine.de/regionen/soemmerda/eingemeindung-henschleben-birgt-kleinen-und-grossen-huerden-id228173245.html] würde –, allen Ernstes als „Ausmerzung“ beschreiben? Die Wortwahl verwundert umso stärker, da Sabrow als Historiker vom Gebrauch dieser Begriffe in der NS-Zeit oder für Gewaltverbrechen in den Jugoslawienkriegen Kenntnis haben sollte. So sehr ich Deutlichkeit in der Auseinandersetzung schätze und ein „offenes Visier“ (Gerhard Delling) – mit diesen verbalen Eskalationen konterkariert Sabrows Replik nicht zuletzt das eigene Werben für „abwägende Stimmen“ in der Debatte aus dem nachvollziehbaren Grund, dass solch drastische Begriffe mit einer nachdenklichen Zuschreibung wie „abwägend“ schlecht in Verbindung gebracht werden können.

Genug der Vorrede! Gegen die in meinem Text erwähnten (dekolonialen) Umbenennungsprojekte führt Sabrow an, der Gewinn, problematische Personen durch Änderung des Straßennamens nicht länger zu würdigen, werde „immer auch mit der Verarmung des öffentlichen Speichergedächtnisses bezahlt.“ Ich bin kein Mathematiker, würde den Eintrag etwa von Namen afrodeutscher Personen in die Stadtpläne der Republik aber eher als Bereicherung verbuchen. Denn neben dem Perspektivwechsel dahin, dass die deutsche Kolonialgeschichte nicht länger durch Täter, sondern durch Opfer erinnert wird oder durch Leute, die Widerstand geleistet haben (analog zur NS-Zeit), bewirkt die öffentliche Ehrung von Menschen wie May Ayim und Hilarius Gilges, Hans-Jürgen Massaquoi, Fasia Jansen oder eben Gert Schramm eine Vergrößerung des Bilds von deutscher Geschichte, das Straßennamen zeichnen. In Erfurt verschwände durch eine Umbenennung des Nettelbeckufers in Gert-Schramm-Ufer weder die Kolonialgeschichte noch das Preußentum aus dem Stadtbild, weil letzteres weiterhin durch Gneisenau-, Blücher-, Körner- und Clausewitzstraße repräsentiert bliebe. Mit Gert Schramm wäre aber nicht nur der Kolonialgeschichte gedacht, sondern auch der historischen Dimension von Migration und Diversität, die gemeinhin schnell als rezente Phänomene gelten.

Wenn Sabrow beim Kreuzberger „Generalszug“ (der nicht Thema meines Textes war) darauf verweist, dass man aus der eben von mir gewählten Makroperspektive (welcher Teil der deutschen Geschichte wird durch die geehrte Person erinnert?) auf die Mikroperspektive der einzelnen Straßennamensgeber wechselt (warum wird eine bestimmte Person geehrt?), so kann ich ihm nur zustimmen. Diese spezifische Abwägung deckt sich mit dem Kriterium, das über Sabrows Historiker-Kollegen Jürgen Zimmerer in meinen Text Eingang findet und vom Erfurter Stadtrat bei den Umbenennungen nach 1989/90 ähnlich angeführt wurde: dass man begründen können müsse, warum die in der Diskussion stehende Person von heute aus betrachtet eine Ehrung weiterhin verdient. Hätte Hochmuth sich mit diesem Hinweis zitieren lassen, wäre er logischerweise nicht als Beispiel für eine exemplarische Form von Verunsachlichung der Debatte in meinem Text kritisiert worden.

Wenn Sabrow damit selbst auf positive Lebensleistungen von preußischen Generälen abhebt, um gegen den (generellen) Umbenennungsvorschlag zu streiten, widerspricht das allerdings seiner eigenen Behauptung vom „Irrglauben …, dass Straßennamen ausnahmslos Ehrungen darstellten“. Diese scheint mir – vorsichtig gesagt – kühn, da sie einer in Deutschland seit der Preußenzeit eingeübten, unverändert gängigen Praxis widerspricht. Hier fehlt es der Replik an einer Unterfütterung durch Beispiel oder Quelle. Das von Sabrow ins Spiel gebrachte Bild eines „Parallelogramms“ taugt als Begründung schlecht, und zwar aus zwei Gründen. Einerseits wird der Unterschied zwischen Kraft 2 („heutige Namensrezeption“) und Kraft 3 („empirische, sich durch Forschung nicht selten verändernde Faktenlage“) nicht deutlich, weil die eine (Kraft 3) die andere ja bedingt (Kraft 2). Andererseits müssten durch dieses Bild jeweils zwei Kräfte immer paarweise gleich stark gewichtet werden, damit die einmal gewählte geometrische Figur als Metapher stabil bliebe.

Kraft 4 („durch Alterung entstehende Historizität“) ist als Argument in der Straßennamendebatte überdies so beliebig und damit so angreifbar wie die von Sabrow so genannte Skepsis Hochmuths, durch Umbenennung heute „der Gegenwart umstandslos die Maßstäbe der Gegenwart zu überhelfen.“ Denn das haben vergangene Gegenwarten regelmäßig getan, wie die Umbenennungsentscheidungen nach 1945 und 1990 zeigen und, wir mir wichtig war zu betonen, auch dazwischen und danach. Eine andere als eine solch tendenziell unabschließbare Vorstellung von Geschichte schiene mir auch unplausibel. Zumindest habe ich Reinhart Koselleck immer so gelesen, „daß sich mit dem Wandel der Geschichte auch die historischen Äußerungen über diese Geschichte wandeln“. [1. Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt: Suhrkamp 1979.] Von nichts anderem zeugen dekoloniale Straßenumbenennungsprojekte.