Spiegelerlebnis mit Zeugen

Walter Cronkite war bei CBS über Jahrzehnte hinweg der Moderator, der aus besonders aufregenden oder heillos verwickelten Lagen eine verständliche Geschichte machen konnte. Virtuos reduzierte er die Komplexität großer Ereignisse auf ein handliches und allgemein anschlussfähiges Deutungsangebot. Das war auch am 27. Dezember 1968 der Fall. Soeben hatten drei Menschen die Rückseite des Mondes mit eigenen Augen gesehen. Frank Borman, William Anders und James Lovell konnten sogar vom Sonnenaufgang auf dem Mond berichten. Und sie zeigten einem globalen Fernsehpublikum, wie sich die Erde von außen präsentierte.

(Dieser Text ist im Dezemberheft 2022, Merkur # 883, erschienen.)

Die fernsehtechnischen Verhältnisse für diese Perspektivierung waren prekär. Das ganze Raumschiff musste schräg zur Flugrichtung gestellt werden, damit die Erde in den kleinen Fensterrahmen der Kapsel passte und die Kamera in Position gebracht werden konnte – etwas schief zum Fenster, um die Spiegelung der Scheibe zu reduzieren. Verschiedene optische Filter aus dem Arsenal der Fotoausrüstung wurden mit Klebeband vor der Linse der Fernsehkamera befestigt, um mehr als nur einen weißen Fleck nach Houston übertragen zu können. Da die TV-Kamera über kein Display verfügte, konnten die Anweisungen für ihre Positionierung nur über Sprechfunk, also mit beträchtlicher Verzögerung aus dem Mission Control Center in Houston kommen.

Manchmal sah man dort nur einen Teil der Erde, dann verschwand sie plötzlich wieder ganz aus dem Blickfeld. Was die Kamera einfing und was sie ausblendete, hing von der Geduld der Astronauten in der Raumkapsel und der Instruktoren in Houston ab, wurde von den Filtern, der verwendeten Antenne, der Bildbearbeitung, der Übertragungsfrequenz und in Houston auch noch von dem »Eidophor« genannten Projektionsapparat bestimmt, bevor es als Sendematerial an die angeschlossenen Fernsehstationen weitergeleitet wurde. Deren Redakteure und Kommentatoren, die Sendezeitfenster mit ihren Werbeunterbrechungen sowie die Magnetaufzeichnungsmaschinen selektierten noch einmal, was das Publikum zu sehen bekam und was nicht – wobei das auch noch von der Qualität der Antennen und TV-Geräte abhing.

Da die Expedition von Apollo 8 zum Mond über Weihnachten stattfand, waren die Astronauten angewiesen worden, an Heiligabend etwas Angemessenes für das zugeschaltete Publikum zu sagen. Vielleicht mochten sie bei der Beschreibung der Erde ein wenig poetisch werden und die Farben schildern, die sie sahen? Eine kleine Weihnachtsbotschaft wäre auch nicht schlecht. Aber für alle, die zuschauen würden, unabhängig von privaten weltanschaulichen oder konfessionellen Entscheidungen.

(…)


Möchten Sie weiterlesen?

Testen Sie 3 Monate MERKUR digital für nur 9,90 €.

Text im Digital-Archiv lesen / downloaden.