Ökologie und Radikalität. Anmerkungen zur „Letzten Generation“

Der historische Vergleich erfreut sich im politischen Diskurs großer Beliebtheit. In den seltensten Fällen bricht sich dabei eine besondere Geschichtsbegeisterung Bahn, in aller Regel geht es vielmehr um die Gegenwart. Sehr häufig dient der Verweis auf die Historie dazu, Traditionslinien zu konstruieren. Ein rezentes Beispiel für diese Strategie ist etwa die Ansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am 8. März 2022 vor dem britischen Unterhaus, in der er Churchills berühmte Durchhalterede We Shall Fight on the Beaches zitierte und sich damit, durchaus nicht ohne Erfolg, in dessen Nachfolge stellte.

(Dieser Text ist im Februarheft 2023, Merkur # 885, erschienen.)

Der historische Vergleich kann aber ebenso gut auch als Mittel zur Diskreditierung des Gegners eingesetzt werden, welchem politischen Lager dieser auch zugehören mag. Man erinnere sich nur an die Reaktion Bodo Ramelows auf die Wahl seines kurzfristigen Nachfolgers und Vorgängers im Amt des Thüringer Ministerpräsidenten. Ramelow verbreitete unter anderem auf den sozialen Netzwerken eine Aufnahme des Handschlags zwischen Hitler und Hindenburg zusammen mit einer Fotografie von Kemmerich und Höcke. Ramelows Linkspartei wird wiederum gerne mit der SED gleichgesetzt, aus der sie sich zum Teil, aber eben nicht ausschließlich, entwickelt hat.

Auch in der aktuellen öffentlichen Debatte um die polarisierenden Protestpraktiken der »Letzten Generation« ist zuletzt in polemischer Absicht mit einem historischen Vergleich gearbeitet worden. Die Klimaaktivisten, so titelte die Bild-Zeitung Anfang November 2022, befänden sich »auf dem Weg der RAF«. Nun ließe sich diese These leicht mit dem Hinweis kontern, dass die einen bislang nur den Verkehr blockiert und in Museen für Sachschäden gesorgt, die anderen hingegen gemordet haben. Doch angesichts der Intensität der Reaktionen, die sie bei Gegnern wie Befürwortern der »Letzten Generation« ausgelöst hat«, und die doch stark dafür spricht, dass hier ein Nerv getroffen wurde, lohnt es sich vielleicht, die Gleichsetzung probehalber einmal ernst zu nehmen und die Ideologien und Praktiken beider Gruppen miteinander zu vergleichen.

Terrorismus als Kommunikationsform

Die Kommunikationswissenschaftlerin Liane Rothenberger hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Terrorgruppen zwar im Gegensatz zu anderen politischen Organisationen die geltenden gesellschaftlichen und rechtlichen Normen nicht beachten, sich aber genauso die Frage nach ihrer Zielgruppe und möglichen Konkurrenten stellen müssen. Denn: »Nicht der terroristische Akt an sich, sondern die fortgesetzte Kommunikation darüber, die Interpretationen und Erklärungen, sind die wichtigen Themen für die Terrorgruppen. Nur durch die fortgesetzte Kommunikation erhält der scheinbar ›sinnlose‹ Akt eine Bedeutung.«

Wenn diese fortgesetzte Kommunikation gelingt, werden »die Terroristen Angst und Schrecken in der Gesellschaft verbreiten oder sogar eine Änderung der öffentlichen Meinung erreichen«. Dabei »erreichen die Terroristen ihr Ziel durch die Gegenreaktionen der Machthaber«, etwa wenn diese durch verstärkte Sicherheitsmaßnahmen die Freiheiten der Bevölkerung zu stark einschränken und hierdurch Proteste hervorrufen, die am Ende zu ihrem Sturz führen. Terrorismus lässt sich demnach als eine Form politischer Kommunikation verstehen, die ein revolutionäres Ziel über die mediale Produktion von Angst erreichen möchte.

 

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