September 29, 2023 - Keine Kommentare
Aleida Assmann empfiehlt Ralf Dahrendorfs “Die Zukunft des Nationalstaates” zur Zweiten Lesung. Der Essay ist 1994 im Merkur erschienen und interessiert Assmann nicht zuletzt im Zusammenhang mit ihrem 2021 erschienenen Buch “Die Wiedererfindung der Nation. Warum wir sie fürchten und warum wir sie brauchen”. Zugleich verdeutlicht er vor dem Hintergrund der heutigen Debatten die gesellschaftlichen Veränderungen der rund dreißig Jahre, die zwischen diesen beiden Texten liegen. (mehr …)
Juli 25, 2023 - Keine Kommentare
Dahlem war zu Hegels Berliner Zeit kaum mehr als ein größerer Bauernhof weit außerhalb der Stadt. Erst nach seinem Tod wurde das Gebiet auf kaiserlichen Erlass zum Wissenschaftsstandort ausgebaut, einem deutschen Oxford, zumindest dem Anspruch nach. Dahlem verbindet also auf den ersten Blick nichts mit Hegel. Trotzdem lädt das „Dahlem Humanities Center“ jährlich zur „Hegel-Lecture“ ein, mittlerweile einer festen Institution im akademischen Kalender Berlins, die so prominente Intellektuelle wie André Glucksmann oder Slavoj Zizek anziehen konnte. Die Namenspatronage Hegels ist dabei inhaltlich gedeckt: Als Philosoph der Freiheit passt er tatsächlich ganz gut nach Dahlem, wo vor 75 Jahren die Freie Universität gegründet wurde, an der auch das „Dahlem Humanities Center“ beheimatet ist. (mehr …)
Juli 13, 2023 - Keine Kommentare
Jürgen Habermas hat in einem kürzlich erschienenen Suhrkamp-Band mit dem Titel „Freiheit oder Leben?“ eine in zwei früheren Artikeln vorbereitete und mit anschwellender Vehemenz vorgetragene Position zur Pandemiepolitik entwickelt, die näherer Betrachtung lohnt.
Die medial geführten Debatten hätten es versäumt, so Habermas’ grundlegende Beobachtung, die Zielsetzung der Pandemiepolitik herauszuarbeiten. Behelfsmäßig diente jahrelang eine grafisch anschauliche rote Linie, nämlich die Zahl der Krankenhausbetten, allzu unhinterfragt als Richtmarke für Gewährung und Entzug von Freiheiten. Diese Heuristik schließe allerdings voreilig das Recht auf Leben mit medizinischer Versorgung kurz: Unter der Hand tausche der eigentlich angestrebte Infektionsschutz mit der bloßen Zusicherung von Behandlungschancen im Notfall. (mehr …)
Juni 09, 2023 - Keine Kommentare
Wer die Berichterstattung über die Lina-E.-Demonstrationen in Leipzig verfolgt, bekommt den Eindruck, hier habe sich eine Horde destruktiver Charaktere zusammengerottet, um das Gemeinwesen zu bedrohen und Connewitz als Geisel zu nehmen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Antifa, um die es geht, ist ein Club der Anständigen und Tugendhaften, die sich um den Zustand der Gesellschaft sorgen und dem Staat unter die Arme greifen, wo er schwächelt, was leider oft vorkommt. Bei der Bekämpfung seiner rechtsradikalen Feinde stellt er sich mindestens dusselig, wenn nicht sogar absichtlich ungeschickt an. (mehr …)
Juni 02, 2023 - Keine Kommentare
Wir laden ein: Die Historikerin Nina Verheyen spricht mit Stefan-Ludwig Hoffmann über sein vor kurzem erschienenes Buch Der Riss in der Zeit. Kosellecks ungeschriebene Historik, eine Auseinandersetzung mit Reinhart Koselleck und seiner intellektuellen Biografie. (Mehr dazu beim Suhrkamp Verlag.)
Datum: 6. Juli 2023
Ort: Redaktion des Merkur, Mommsenstraße 27 in Berlin
Beginn: 18 Uhr
Der Eintritt ist frei, wir bitten jedoch um Anmeldung per Email an redaktion@merkur-zeitschrift.de
Mai 12, 2023 - Keine Kommentare
Nun ist es endlich raus: Nach monatelangem medialen Druck und rechtlichem Gezerre hat die Stiftung Humboldtforum das bislang geheim gehaltene Gutachten über Ehrhardt Bödecker, einem vom Förderverein Berliner Schloss eingeworbenen Großspender des Humboldtforums/ Berliner Schlosses, am 8. Mai 2023 veröffentlicht. Zuvor hatte der Intendant Hartmut Dorgerloh auf Drängen der Angehörigen des verstorbenen Privatbankers die Weitergabe verweigert, selbst gegenüber seinem Stiftungsrat, welcher die Erstellung des Gutachtens durch das Münchener Institut für Zeitgeschichte überhaupt erst veranlasst hatte. (mehr …)
Mai 02, 2023 - Keine Kommentare
In diesem Jahr wird die Ernst H. Klett Stiftung Merkur zum fünften Mal den 2019 ins Leben gerufenen Merkur-Preis für herausragende Dissertationen vergeben. Für die Auszeichnung infrage kommen Arbeiten aus den Geistes-, Kultur-, Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, deren fachliches, methodisches und literarisches Niveau überdurchschnittlich ist und die ihren Gegenstand aus einer in produktiver Weise unkonventionellen Perspektive in den Blick nehmen.
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März 31, 2023 - Keine Kommentare
Hinweis der Redaktion: Dies ist die Langfassung des im April 2023 in der Printausgabe erschienenen Texts
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“Unter technologischen Bedingungen verschwindet die Literatur … im Untod ihres endlosen Verendens.” So steht es, fast am Ende, geschrieben in Friedrich Kittlers Aufsatz Draculas Vermächtnis von 1982. Zusammen mit anderen Texten aus dieser Zeit ist er im ersten erschienenen Band der Werkausgabe Kittlers. Mit den technologischen Bedingungen der Digitalität setzt sich die Ausgabe auseinander und modelliert neue Standards, wie mit Archiv und Gedächtnis umgegangen werden kann. Daher lohnt es sich, gemeinsam darüber nachzudenken, wie das endlose Verenden der Literatur und des Schreibens über Literatur und andere Medien gestaltet werden können. Am 26. September 2022 habe ich das in einem Gespräch versucht. Teilgenommen an dem Gespräch haben Moritz Hiller, Medienwissenschaftler an der Bauhaus-Universität Weimar und Mitherausgeber der Werke Kittlers; Susanne Holl, die den 2011 verstorbenen Kittler noch während seiner Lehrtätigkeit in Bochum kennenlernte und 1995 heiratete; Kathrin Kur von der Data Futures GmbH, einem Nonprofit-Unternehmen aus Leipzig, das die technische Infrastruktur für die Edition entwickelt; Tom Lamberty, dem Verleger von Merve, wo die Kittler-Ausgabe erscheint; Martin Stingelin, Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Dortmund und ebenfalls Mitherausgeber der Werkausgabe.
Guido Graf Ich habe davon gehört, dass eine Werkausgabe von Friedrich Kittler in Arbeit ist. Als ich die Ankündigung von Merve gesehen habe, dass der erste Band erscheint, war ich erst mal verwirrt über den Titel I.B.4 und habe dann, als ich das Buch in den Händen hielt, bei einem Text gedacht, in dem es um das Schreien auf Bühnen, Platten und Papieren geht: Den hätte ich damals kennen müssen, als ich mit Friedrich Kittler in einem Café in Berlin Tempelhof gesprochen habe. Im Erdgeschoss des Hauses, in dem er damals wohnte, haben wir in einem Lokal zusammengesessen, im Hintergrund lief Karnevalsmusik, und wir sprachen für ein Hörstück, an dem ich gearbeitet habe, über das Schreien.
Susanne Holl War das 1998?
Guido Graf Ja, genau.
Susanne Holl Es ging um Literaturgeräusche, nicht wahr? Ich wollte ohnehin fragen, ob dieses Interview tatsächlich zustande kam und ob es gesendet wurde. Damit hängt nämlich auch eine erste Antwort auf noch nicht einmal gestellte Frage zusammen, warum das eigentlich so lange dauert. Wir müssen sehr, sehr viel aus dem Nachlass aufarbeiten. Dazu gehören viele Korrespondenzen, aus denen wir dann erst erfahren, dass es so ein Interview von Guido Graf mit Friedrich Kittler gegeben hat.
Guido Graf Das ist tatsächlich gesendet worden. Allerdings nur Teile daraus, in einem Feature. Wir konnten damals nicht in der Wohnung sprechen, weil die Handwerker im Haus waren. Aber die Radiobedingungen waren durch die Hintergrundmusik auch in der Gaststätte nicht gerade ideal. In Bezug auf den Gegenstand unseres Gesprächs war es auch interessant war. Das war meine erste Begegnung mit Kittler. Ich habe ihn dann später noch mal in Hamburg im Literaturhaus gesehen, wo er mit Durs Grünbein ein Gespräch über dessen Descartes-Buch geführt hat. Nach seinem Tod habe ich bis 2022 kaum noch etwas von Kittler gelesen. Aber als ich jetzt, im Jahr 2022, den ersten Band der Werkausgabe in den Händen hielt, habe ich mich gefragt, will ich noch mal Kittler lesen? Diese Frage würde ich aber gerne an Sie alle zurückgeben. Warum jetzt Kittler lesen? Warum sollte jemand heute etwas, ob das ein früher Text ist wie die, die jetzt in dem Band sind, oder auch etwas, was sehr viel später entstanden ist, von Friedrich Kittler lesen?
Kathrin Kur Die Idee des Verschwindens des Materiellen, Kittlers Hinterfragen von Materialität und Technologie ist für mich sehr relevant.
Martin Stingelin Guido hat eine doppelte Frage gestellt und ich versuche, dreifach zu antworten. Seit Ende der 1970er Jahre, als er zum ersten Mal publizistisch in Erscheinung getreten ist, hat Friedrich Kittler eine bis heute anhaltende Aktualität in mehrfacher Hinsicht bestritten, behauptet, verkörpert. Er hat die Germanistik in die Medienwissenschaft überführt. Er hat die Germanistik überrascht durch den Umstand, dass die von ihr behandelten Texte geschrieben worden sind, indem er nachfragt, was es heißt, dass Texte geschrieben worden sind. Nicht immer mit Feder und Tinte, früher mal auch in Stein gemeißelt. Irgendwann gab es eine Mechanisierung des Schreibens durch die Erfindung der Schreibmaschine, dann eine Digitalisierung des Schreibens. Kittler war der erste, der, indem er dies reflektiert hat, die Germanistik in die Medienwissenschaft überführt. Die Welt ist bis heute darüber überrascht, und zwar vollkommen zu Recht. (lesen ...)
März 10, 2023 - Keine Kommentare
Wir haben in diesem Jahr den Merkur-Preis doppelt vergeben, an die Rechtswissenschaftlerin Samira Akbarian (Goethe-Universität Frankfurt) für ihre Studie zum Thema Ziviler Ungehorsam als Verfassungsinterpretation. Ausgezeichnet wird zum anderen der Zeithistoriker Benedikt Sepp (LMU München) für die Arbeit Das Prinzip Bewegung. Theorie, Praxis und Radikalisierung in der West-Berliner Linken (1961−1972).
Am 24. März werden beide in der Merkur-Redaktion ihre Arbeiten vorstellen, im Gespräch miteinander, sicher auch über juristische und historische Aspekte des zivilen Ungehorsams, um die es in den Arbeiten geht.
Die Veranstaltung ist öffentlich, Beginn 18 Uhr, der Eintritt ist frei, allerdings sind die Plätze begrenzt. Wir bitten deshalb um Anmeldung unter redaktion@merkur-zeitschrift.de.
Februar 21, 2023 - Keine Kommentare
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A: Was glaubst Du, wird jetzt aus der Documenta?
B: Ich bin mir nicht sicher, ob es sie noch gibt.
A: Warum?
B: Die Documenta war eine der erfolgreichsten Kunstinstitutionen der Welt, und sie war für ihre Geheimniskrämerei berühmt. Wie jeder amerikanische Präsidentschaftswahlkampf eine neue Form von Medienkampagne hervorbrachte, so brachte jede Documenta ihren eigenen Stil der Irreführung und Mystifikation zur Geltung. Das war ein Teil ihres Nimbus, und das war ihr Beitrag zum Boulevard-Theater. Die d15 war da keine Ausnahme, sondern nur die vorerst letzte Variante des Themas. Und das indonesische Kuratorenteam ruangrupa hat einige Betriebsgeheimnisse bis zuletzt gewahrt und entpuppte sich darin als stolze Vertreterin ihrer Zunft. Damit hat es jetzt ein Ende. (mehr …)