• Liberté, Egalité, Fraternité – Laicité

    Unterwegs in Sarcelles
    Ich war recht oft in Paris in den letzten Jahren. In die Banlieue habe ich mich bislang nicht getraut. Heute fahre ich mit dem RER D nach Sarcelles. Am Bahnsteig am Gare du Nord die halbe Welt, aber weiß ist sie nicht. Hindi höre ich, afrikanische Sprachen, Arabisch, auch Russisch. Der Zug ist sehr voll, er leert sich deutlich, bis ich in Garges-Sarcelles aussteige. Nun bin ich aber wirklich der einzige Weiße. Das ist, zwanzig Minuten vom Gare du Nord, nicht mehr Paris, sondern das Département Val d'Oise. Zone vier im Verkehrsnetz, mein Paris-Visite-Ticket gilt hier nicht mehr. Ich dachte, ich probier's trotzdem, prompt scheitere ich am Ausgang, das Drehkreuz bleibt starr. (mehr …)
  • Fundsache: Universitäre Streitkultur 1969 (Habermas)

    Bei den Recherchen zu ihrer Dissertation ist Nina Verheyen auf ein Dokument aus dem Herbst 1969 gestoßen, ein Heftchen mit dem Titel "Aktiver Streik. Dokumentation zu einem Jahr Hochschulpolitik am Beispiel der Universität Frankfurt". Darin enthalten ist die Dokumentation einer Auseinandersetzung am philosophischen Seminar. Der Habermas-Doktorand Gerhard Stamer hatte in einer Seminarsitzung im Wintersemester 1968/9 seinen Doktorvater in der Sache scharf kritisiert. Hier ein paar exemplarische Sätze:

    Sowohl die Interpretation Hegels als auch Marxens betreibt Habermas äußerlich... Habermas sieht nicht, daß der die Erkenntniskritik sprengende Ansatz von Hegel, die Reflexion auf die Voraussetzungen derselben, der Gang des Beweises des Absoluten selbst ist...  Habermas spart die Diskussion der konkreten Allgemeinheit aus, d.h. überhaupt die Diskussion des Verhältnisses zwischen Einzelnem und Allgemeinem. Folge dessen ist, daß er selbst im Idealismus befangen bleibt... Für die Subjekte springt bei Habermas nichts raus. Ihm geht es allein darum, den allgemeinen Zusammenhang der Wissenschaft mit der diesem vorgelagerten allgemeinen Gattungsgeschichte zu vermitteln.

    Man sieht: eine Auseinandersetzung auf ziemlich hohem Niveau, argumentativ wie begrifflich; kein persönlicher Angriff, sondern nur kritisch scharf in der Sache. Als Reaktion darauf hat Habermas seinen Doktoranden vor dem versammelten Seminar zur Schnecke gemacht. Wie das genau vor sich ging, ist nicht dokumentiert, allerdings dem folgenden Brief, den Gerhard Stamer darauf verfasste, der vernichtenden Tendenz nach gut zu entnehmen: (mehr …)
  • Julia Encke, FAS, 11.Juni 2015

    Julia Encke, die neue Literaturchefin der FAS, schreibt in der aktuellen Ausgabe eben dieser Zeitung (derzeit nicht online), unter dem beziehungsreichen Titel "Los, Labern!":

    In der neuen Ausgabe des „Merkurs“, der „Deutschen Zeitschrift für europäisches Denken“, gibt es eine Kolumne, die diesmal vom Literaturbetrieb handelt. Sie ist nicht besonders polemisch, obwohl man das ja eigentlich immer erwartet, wenn vom Betrieb die Rede ist. Sie nimmt ihren Gegenstand aber auch nicht besonders ernst: Im Januar dieses Jahres habe es „ein wenig Aufregung“ im Betrieb gegeben, stellt der Autor fest, einen „Sturm im Wasserglas“, andere Stürme gebe es da selten, der Betrieb sei nicht groß: „Die meisten Betriebsteilnehmer sind den meisten anderen bekannt, und was im Betrieb passiert, interessiert in erster Linie den Betrieb, den aber sehr.“ Steht da. Stimmt aber so nicht. Mich nämlich leider nicht so.

    Gut, dass wir das geklärt haben. Aber dann geht es doch die ganze Zeit um den Betrieb, und zwar am Beispiel des neuen Lottmann-Romans. Könnte es sein, dass Encke mit dem eigenen Text absichtsvoll eine Laber-Performance hingelegt hat, die über den Betrieb schreibt, aber sich nicht nur von ihm, sondern vom eigenen Darüberschreiben listenreich distanziert, dass sie also Hubert Winkels, der den Betrieb in sich aufhebt, qua performativem Selbstwiderspruch noch überwinkelt? Dann natürlich Chapeau! Die besten Free-Spiele finden Sie hier auf der Website der Spieleplattform. (Die erwähnte Kolumne ist im übrigen nach wie vor frei lesbar.)
  • Sehr geehrter Herr Marquard

    Als vorgestern die Nachricht vom Tod Odo Marquards kam, fragte ich mich, warum er - der dafür doch eigentlich prädestiniert gewesen wäre - nie im Merkur veröffentlicht hat. Im folgenden Auszüge aus dem Redaktionsbriefwechsel, die zeigen, dass man ihn durchaus als Autor zu gewinnen versuchte. Mit Dank an Kurt Scheel für die Genehmigung zur Veröffentlichung seiner Anfragen.

    16.7.1982

    Sehr geehrter Herr Marquard,

    Sie haben noch nie im MERKUR veröffentlicht - das finde ich bedauerlich. Ich möchte mit der Tür ins Haus fallen (die Endlichkeit des Lebens...) und Sie fragen, ob Sie Lust (und Zeit) haben, für uns die Bücher von Karl Heinz Bohrer (Plötzlichkeit) und Manfred Frank (Der kommende Gott. Vorlesungen zur Neuen Mythologie) zu rezensieren.

    ...

    Ich bin gespannt auf Ihre Antwort, mit freundlichen Grüßen, Redaktion MERKUR (Kurt Scheel)

    15.11.1982

    Sehr geehrter Herr Marquard,

    ich hoffe, Sie haben sich gut im Wissenschaftskolleg eingelebt und festgestellt, daß Sie gar nicht so viele Verpflichtungen vor sich haben, demzufolge für eine Rezension der avisierten Bohrer-Bücher (Plötzlichkeit, Moderne und Mythos) - und eventuell des Buches von Frank (Der kommende Gott) - Zeit und Lust hätten... (mehr …)

  • Merkur FAS Baecker

    Bislang leider nicht Jetzt online: Im Aufmacher des FAS-Feuilletons denkt Claudius Seidl über den Negativzins nach - und zwar mit doppeltem Verweis auf den Merkur. Zunächst geht es um Dirk Baeckers Januar-Aufsatz Zur Nullzinspolitik der Notenbanken (hier als pdf): "An den Anfang seiner Überlegungen (denen man nicht in all ihren Winkelzügen folgen muss) stellt Baecker die Frage, ob der negative Zins womöglich ein Zeichen dafür sei, dass das Geld selbst, als Medium des Tausches, an Bedeutung verliere; dass also nicht etwa der Wert einer bestimmten Währung sinke, sondern der des Geldes insgesamt. Der Gedanke ist insofern sympathisch, als er die Begründung dafür liefert, weshalb wir, hier im Feuilleton, uns mit solchen Dingen zu befassen trauen: Man darf kein Insider sein, wenn man das Geld von außen betrachten will." Baeckers Diagnose, dass das Geld an Bedeutung verliere, teilt Seidl durchaus. Und erinnert (sich) an einen ganz anderen Text: "Wenn das Geld aber seine Gültigkeit verliert, hilft es vielleicht, daran zu erinnern, was es war. In einem schönen, schwierigen Essay, in welchem es eigentlich um den Nihilismus und die Ablehnung jeder Teleologie ging, um Leopardi, Baudelaire und den Tod also und überhaupt nicht um Finanzen, hat Karl Heinz Bohrer, vor achtzehn Jahren ebenfalls im Merkur, quasi im Vorübergehen eine sehr brauchbare Deutung der Moderne formuliert: Die Moderne, schreibt Bohrer, habe immer Anleihen bei der Zukunft genommen." Auch Karl-Heinz Bohrers Text gibt es natürlich als (kostenpflichtiges) pdf, nämlich hier.
  • Merkur auf der Buchmesse

    Morgen von 12.00 bis 13.30 Uhr auf der Frankfurter Buchmesse: Herausgeber Christian Demand beim Buchmesse Talk im Gespräch mit Petra Eggers, Jo Lendle, Stefan Aust und Richard Kämmerlings. Thema: "Die Zukunft der Tagesordnung".   
  • Et in Hildesheim ego: Prosanova 14

    Florian Kessler war da, und damit stand der Elefant auch im Raum: die Frühjahrsschreibschuldebatte. In seiner durchaus inspirierten Polemik "Lassen Sie mich durch, ich bin Arztsohn!" hatte Kessler in der Zeit die deutsche Mittelschichtshomogenität der deutschen Schreibschüler am Beispiel von Hildesheim beklagt. Der oberflächliche Blick auf das Soziotop, das sich zum vierten Hildesheimer Schreibschulliteraturfestival Prosanova versammelte, führt Kesslers Diagnosen jedenfalls nicht sofort ad absurdum. Sehr weiß, sehr mittelschicht, sehr lässig postmaterialistisch gekleidet im Ulf-Poschardt-Herzkaschper-Stil. Der Mann im Anzug: Schreibschulprofessor Hanns-Josef Ortheil. An der Festivalfrittenbude keine Fritten, sondern Chili sin carne. Umgangsformen: rempeliges Hier-komm-ich auf den Gängen, ansonsten gepflegt. (mehr …)

  • Nina Verheyen: Vortrag am Wissenschaftskolleg

    Die Historikerin und Merkur-Autorin Nina Verheyen ist derzeit Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg. Am kommenden Mittwoch hält sie dort ab 20 Uhr einen Vortrag zum Thema "Diskussion als Distinktion: Perspektiven einer Kulturgeschichte des argumentativen Gesprächs". Ausführlichere Informationen und das Formular zur Anmeldung für den Abend auf der Seite des Wissenschaftskollegs.
  • Anton Tantner bei DRadio Wissen

    Anton Tantner gibt im DRadio Wissen Auskunft über Adressbüros, über die er bei uns im Januarheft schreibt.
  • Steinfeld in SZ über Merkur und Plumpe

    Was genau es bedeutet, wenn Thomas Steinfeld glaubt, dass unser Dezemberheft "einem seltsamen Proporz Gestalt verlieh, der etwas im Grunde Selbstverständliches in eine Besonderheit verwandelte", während wir eigentlich dachten (und nachweisen zu können glauben), wir hätten da umgekehrt eine Besonderheit in eine Selbstverständlichkeit verwandelt - das müssen wir vielleicht nicht verstehen. Aber wer wird sich beklagen, außer vielleicht über den Hieb gegen das Doppelheft, mit dem wir gar nichts einzurennen, sondern nur ein paar Gedanken und Hintergründe zu liefern gedachten. Aber, wirklich - eigentlich schreibt Thomas Steinfeld auf Seite eins des SZ-Feuilletons vom Samstag ja ganz freundlich über uns und vor allem über Werner Plumpes Ökonomiekolumne.

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