Eisen zu Eisen, PET zu PET?
In Deutschland werden jährlich über drei Millionen Personenwagen abgemeldet, die wenigstens fünfzehn Dienstjahre hinter sich haben. Die bundesamtliche Statistik verdeutlicht den tristen Erwartungshorizont von Kraftfahrzeugen: Irgendwann landen alle auf einem Schrottplatz. Dort werden sie rücksichtslos ausgeweidet, von Reifen, Schmieröl, Batterien und Kunststoffen befreit. Schließlich werden sie in handliche Pakete gepresst, auf große Lastwagen gehievt und zum Schmelzofen gefahren. Die letzte Fahrt braucht starke Motoren. (mehr …)
Der Flachsweg
Bauern leben im Offenen, und die Landschaften, die sie bewohnen und bearbeiten, sind Wetterwelten. Dies gilt umso mehr für die norddeutsche Küste, wo das Land flach, der Wind stark und die Felder von Gräben durchzogen sind, um die Entwässerung zu gewährleisten. Für den Bauern ist das Wetter immer eine wechselhafte Angelegenheit, und meistens ist es nicht so, wie man es gerade gerne hätte. Der Klimawandel macht die Sache nicht einfacher. (mehr …)
Ein Fach diskutiert über sich selbst
Für viele in Deutschland kam der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 unerwartet, auch für eine ganze Reihe derer, die sich wissenschaftlich mit Osteuropa beschäftigen. In einer frühen Stellungnahme warf Gerhard Simon, der Doyen der politikwissenschaftlichen Forschung – und Politikberatung – zu Osteuropa und insbesondere der Ukraine, der gesamten deutschen Osteuropaforschung vor, versagt zu haben: Sie habe es nach 1991 selbst in dreißig Jahren nicht geschafft, ihre einseitige Fokussierung auf Russland zu überwinden. (mehr …)
Inverses Schönreden. Kommentar zu Geert Lovinks „Die Plattformfalle“
»Es liegen Nuggets im Schlamm« hieß die Parole einst, als im Netz und im Web noch Goldgräberstimmung herrschte. Nicht alles, was glänzt, ist Gold, das war natürlich auch damals schon allen bewusst. Rasch war aus der Kathedrale der Basar geworden, mit all seinem Lärmen und nicht selten viel Lärm um Nichts.1 Nur sollten dennoch, sollten gerade in diesem Tohuwabohu auch Perlen zu finden sein. Oder eben Gold: »Es werden unglaubliche Mengen an Schwachsinn und Redundanz um den Globus bewegt, aber es liegen Nuggets im Schlamm.«2 (mehr …)
Zuhause in der Welt. Zu Amartya Sens Erinnerungen
Im Alter von vierzig Jahren gründete der Schriftsteller Rabindranath Tagore in einem ländlichen Teil des heutigen indischen Bundesstaats Westbengalen, etwa 150 Kilometer nördlich von Kalkutta, eine kleine Schule und gab ihr den Namen Shantiniketan – Heimstatt des Friedens. Das war im Jahr 1901. Zwanzig Jahre später rief er gleich daneben eine Universität ins Leben und gab ihr den Namen Visva-Bharati – eine Verbindung der beiden Sanskrit-Wörter für Welt und Weisheit. Das Motto: »Wo die ganze Welt in einem Nest zusammenkommt«. (mehr …)
Politiken der Arbeit
Es war André Gorz, der vor rund vierzig Jahren mit seinem Buch Abschied vom Proletariat die ersten Fundamente für das Projekt eines bedingungslosen Grundeinkommens gelegt hat. Damals plädierte er dafür, von der marxistischen Vorstellung einer sich durch die Erfahrungen im Arbeitsprozess automatisch revolutionierenden Arbeiterklasse endgültig Abschied zu nehmen und stattdessen nach Möglichkeiten einer Revitalisierung demokratischen Engagements jenseits der Erwerbstätigkeit zu suchen. Das Mittel, das ihm dafür geeignet schien, war das der Auszahlung eines regelmäßigen, an keinerlei Bedingungen geknüpften Mindesteinkommens an alle erwachsenen Gesellschaftsmitglieder, das hoch genug sein sollte, um frei von ökonomischen Sorgen nach je eigenem Gutdünken im öffentlichen Raum aktiv zu werden.2
Der große Freund
Philosophie ist, nach einer berühmten Formulierung Hegels, »ihre Zeit in Gedanken erfaßt«. Die Beschäftigung mit Alltag und News ist daher keine bloße Nebentätigkeit. Auch kein pädagogischer Zusatz, mit dem der Philosoph den Leuten mitteilt, was er im stillen Kämmerlein herausgefunden hat. Sie ist das Material, von dem er lebt, der Unruhepol im eigenen System, der Geist, der alles in Bewegung hält und zu Veränderungen der Theorie führt. Krisenzeiten, in denen die Ordnung ins Rutschen gerät, sind daher Denkzeiten. (mehr …)
Das Gespenst der Maschine, die mich schreibt
Die Gegenwart ist die offene Zeit, in der ich mich nicht auskenne, aber gleichzeitig einer der wenigen Orte, an dem ich Entscheidungen treffen kann. Gleich, übermorgen, sofort, nächste Woche, am besten nie. Aber ist die Gegenwart überhaupt ein Ort? Wenn sie kein Ort wäre, wo würde ich mich dann befinden? Gleichviel. Dringender ist eine andere Frage: Was ist jetzt zu schreiben, in dieser Gegenwart? Was ist jetzt zu tun? Und wie, auf welche Weise ist jetzt zu schreiben? Was muss jetzt übersetzt werden? Was möchte ich lesen können, in dieser Gegenwart? (mehr …)
Zirkulation des Publikums
Verschwundene Dinge hinterlassen Spuren ihrer vergangenen Präsenz. Dafür braucht es nicht viel. Ein heller Fleck an der Wand, ein Kaufbeleg in einer leeren Plastiktüte, Schwermetalle im Schrebergarten, vielleicht ein flüchtiger Geruch oder eine merkwürdige Redewendung zeigen bereits an, dass da etwas gewesen sein muss. Es gehört zu den Schlitzohrigkeiten der Zeichen gegenwärtiger Absenz, dass nicht nur die verschwundenen Dinge selber, sondern auch die Spuren ihres Verschwindens sehr unterschiedliche Halbwertszeiten haben. (mehr …)
Kunst, du Holde. Ein Kulturtrip
Wie war dein Kultursommer? Die Frage verblüffte mich, obwohl niemand sie mir persönlich stellte, sie stand herausfordernd auf einem Plakat am hinteren Bahnsteig, wo es doch meistens um Reiseschokolade geht. Die Frage kam mir sinnlos vor, denn was sollte das Präteritum in einer Werbebotschaft, die nach vorne gerichtet sein sollte. (mehr …)